Drachenauge
Recht.
Wir müssen Chalkin Einhalt gebieten, doch leider ist Ihr Vater nicht imstande, sich zu dieser Erkenntnis durch-zuringen.«
Gallian nickte zustimmend. Dann fragte er in for—
schem Ton, als habe er seine Zweifel und Bedenken
endgültig ausgeräumt: »Möchten Sie ein Glas Wein trinken, Paulin?«
Paulin bejahte. Dann fuhr er fort: »Sie kommen ganz auf Ihre Mutter heraus, Gallian. Das wird Ihnen zum Vorteil gereichen … Damit will ich allerdings nicht an-deuten, dass Ihr Vater ein unangenehmer Charakter ist.«
»So hatte ich das auch nicht verstanden«, entgegnete Gallian. Dann räusperte er sich. »Was geschieht eigentlich mit Chalkin, nachdem man ihn aus seiner Burg entfernt hat? Man wird ihn doch nicht zu einer der südlichen Inseln deportieren, oder?«
»Wieso eigentlich nicht?«, versetzte Paulin. »Man
würde ihn natürlich nicht dort absetzen, wo sich bereits verurteilte Mörder befinden«, wiegelte er hastig ab, als er Gallians Bestürzung bemerkte. »In diesen Breiten 309
wimmelt es von Inseln, es handelt sich um einen ganzen Archipel.«
»Sind einige davon nicht aktive Vulkane?«
»Lediglich Young Island speit Feuer, die anderen Eilande sind mit tropischer Vegetation bewachsen und durchaus bewohnbar. Sicher ist nur, dass die dorthin Verbannten nicht in die zivilisierte Welt zurückkommen und neuen Unfrieden stiften können. Chalkin würde gewiss keine Ruhe geben, wenn man ihn auf
dem Festland ließe. Die vernünftigste und zugleich
humanste Lösung ist es, ihn an einen Ort zu verfrachten, wo er nicht noch mehr Menschen zu Schaden bringen kann.«
»Und wer wird an seiner Stelle die Leitung von Bitra übernehmen?«
»Seine Kinder sind dafür noch zu jung, aber es gibt da einen Onkel, der nicht viel älter ist als Chalkin. Allerdings hörte ich ein Gerücht, demzufolge Vergerin und Chalkin um die Erbfolge gespielt hätten, wobei Vergerin verlor.«
»Mein Vater erwähnte das auch, als das erste Mal von einer Amtsenthebung gesprochen wurde. Er sagte, er hätte darauf bestehen sollen, dass Vergerin anstelle von Chalkin Bitras Burgherr würde, egal, wie das Testament des alten Lord von Nerat lautete. Wussten Sie eigentlich, dass Chalkins Gemahlin Francos Schwester ist?«
»Das war mir ganz entfallen. Ja, richtig. Franco und seine Schwester haben nicht viel gemeinsam, aber sie sind auch nur Halbgeschwister. Franco stammt aus Brentons erster Ehe.«
Sie diskutierten immer noch über das unerschöpf—
liche Thema der Erbfolge, als plötzlich die Tür aufging und Thea ins Zimmer taumelt.
»Bei den Sternen, Mutter!« Gallian lief ihr entgegen, um sie zu stützen. »Hast du Fieber? Du bist ganz rot im Gesicht.«
Sie schlug die Tür hinter sich zu, befreite sich aus 310
dem Griff ihres Sohnes und ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl plumpsen. Dann prustete sie vor Lachen.
»Was ist so komisch?«
»Dein Vater, Gallian …« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, wobei die rote Färbung gleich mit abging. Nach einem Blick auf ihr Taschentuch rubbelte sie sich die Wangen ab, immer noch lachend. »Wir haben es geschafft. Er reist mit mir in ein milderes Klima. Als ich ging, schrieb er bereits einen Brief an Richud und bat um dessen Gastfreundschaft. Ich sagte ihm, ich würde einen Meldereiter mit dem Schreiben losschicken, aber Ihr Reiter könnte den Brief doch gleich mitnehmen, oder, Paulin? Wenn er Sie nach Burg Fort zurückbringt …«
»Das ist kein Problem. Aber vielleicht überbringe ich ihn persönlich und rede bei der Gelegenheit ein Wörtchen mit Richud. Ich werde ihn bitten, sich mit uns zu verbünden und dafür zu sorgen, dass Jamson nicht er-fährt, was sich während seines Kuraufenthalts in Bitra ereignet.« Erleichtert atmete Paulin auf.
»Warum willst du dich schier ausschütten vor Lachen, Mutter?«, fragte Gallian verdutzt. »Und was sollte das Rouge auf deinem Gesicht?«
»Nun ja …« Sie wedelte mit ihrem Taschentuch und
lächelte die beiden Männer schelmisch an. »Was er sich selbst nicht gönnt, bewilligt er seiner kranken Frau«, näselte sie, eine verschnupfte Nase vortäuschend. »Zuerst ließ ich von deiner Schwester Canell herbeirufen, als gäbe es einen Notfall. Dann redete ich ganz offen mit dem Doktor und bat ihn um Unterstützung bei meinem Auftritt. Er schlug vor, meine Wangen mit Rouge zu be-malen. Als ich das Zimmer deines Vaters betrat, jammerte und stöhnte ich, weil ich mir offenbar über Nacht eine schlimme Erkältung zugezogen
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