Drachenauge
Leben keinen Bezug mehr hat?«, fragte sie leise. »Die Beschreibung von archaischen Geräten und Prozeduren, die für die Bedürfnisse auf Pern nicht geeignet sind, da wir keine fortgeschrittene Technik besitzen? Zu diesen Erkenntnissen sind Sie doch längst gelangt, Clisser. Sie wollten doch die Lehrpläne dahingehend ändern, dass überflüssiger Stoff ausgesondert und nur noch das weitergegeben wird, was wir zum Leben auf Pern brauchen. Die meisten der in Dateien gespeicherten Inhalte sind für uns irrelevant.
Und jetzt, da wir uns gar nicht mehr im Besitz dieser Informationen befinden, können wir uns guten Gewissens darauf konzentrieren, neues, praktisches Wissen 120
zu vermitteln. Eine Entscheidung wurde uns durch die Vernichtung der Computer aus der Hand genommen: Wir brauchen uns nicht mehr damit zu beschäftigen,
sinnlose Belehrungen für die Nachwelt zu konservieren. Deshalb frage ich: Was haben wir eigentlich verloren?«
Das Schweigen dehnte sich in die Länge, bis Sheledon zynisch lachte. »Wissen Sie, ich finde, sie hat Recht.
Wir haben uns darin verzettelt, Zeug zu kopieren, mit dem wir hier auf Pern gar nichts anfangen können. Das Ganze wirkt umso abstruser, da niemand auf der Erde sich jemals die Mühe machen wird, herauszufinden, was aus uns geworden ist.«
Blinzelnd fasste Sydra ihren Gemahl ins Auge.
»Fängst du schon wieder mit der Peilsonde von diesem alten Tubberman an?«
Sheledon nahm eine Abwehrhaltung ein. »Nun ja,
immerhin wissen wir aus alten Berichten …«
»Ja, ja, die alten Berichte«, mokierte sich Sydra mit maliziösem Grinsen, woraufhin Sheledon rot anlief.
»Sie besagen, dass die Sonde mit dem Notruf ohne Genehmigung von Admiral Benden losgeschickt wurde.
Da kein Leiter der Kolonie die Botschaft autorisiert hat, würde man sie auf der Erde einfach ignorieren. Falls sie überhaupt je die Erde erreichte.«
»Jemand hätte kommen und sich selbst vom Zustand
der Kolonie überzeugen können«, meinte Sheledon.
»Hören Sie auf damit, Shel«, mischte sich Bethany
ein, die sich über seinen plötzlichen Gesinnungswandel amüsierte; denn er hatte die Theorie, Tubbermans May-day könnte Hilfe herbeilocken, stets verworfen. »Um Interesse bei anderen Zivilisationen zu wecken, ist Pern einfach nicht reich genug.«
»Das steht in den altehrwürdigen Berichten, aber ich glaube, man schrieb es quasi als Alibi hinein. Jemand von der Erde hätte einfach vorbeischauen müssen, wie es den Siedlern ergangen ist … Die Shavian-Kolonien 121
standen immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit,
und der Besitzanspruch der Heimatwelt wurde nie infrage gestellt. Das war übrigens der Auslöser für den Krieg gegen die Nathi.«
»Das liegt doch mehr als dreihundert Jahre zurück,
Shel«, ermahnte Bethany in ihrem geduldigen Lehrerin-nenton.
»Und geht uns auf Pern nicht das Geringste an«, füg-te Sydra hinzu. »Dass wir nun keine Computer mehr haben, ist zweifelsohne ein Verlust. Aber es ist beileibe kein Schlag, von dem wir uns nicht erholen könnten.«
»Bedenken Sie, wie viele Informationen wir verloren haben!«, rief Clisser mit Tränen in den Augen.
»Clisser, mein Teurer«, begann Bethany und tätschelte begütigend seine Hand, »wir befinden uns immer noch im Besitz der ersten Computer, die je erfunden wurden.« Sie deutete auf ihren Kopf. »Hier drin, in unserem Verstand, ist eine Unmenge an Wissen gespeichert, mehr, als wir zum Überleben benötigen.«
»Aber … aber es fehlen uns auch wirklich wichtige
Informationen, zum Beispiel Angaben über die Vorzeichen, die das Erscheinen des Roten Sterns ankündigen.«
»Wir finden schon eine Lösung für dieses Problem«,
meinte sie in solch zuversichtlichem Ton, dass Clisser sich tatsächlich zu beruhigen schien. Für ein Weilchen erhellte sich seine Miene.
Dann überfiel ihn von neuem tiefste Verzweiflung,
und er sackte abermals in sich zusammen. »Wir haben versagt. Unsere Vorfahren trugen uns auf, die Daten zu bewahren und verfügbar zu halten …«
»Blödsinn!«, schimpfte Sheledon und schlug mit der
Faust auf den Tisch. »Unter unserer Wartung hielten die Computer schon viel länger als eigentlich geplant war.
Ich habe genug in den alten Handbüchern gestöbert,
um das mit Bestimmtheit zu wissen. Die Computer waren so konstruiert, dass sie bereits vor fünfzig Jahren 122
ihre Betriebsdauer überschritten hatten. Es grenzt an ein Wunder, dass sie überhaupt so lange funktionierten.
Und wie Bethany
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