Drachenauge
handeln, die zur Gegenüberstellungszeremonie unterwegs waren; doch sie hielt es für das Klügste, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Ein Reiter mochte ihr Vater sein, die beiden anderen waren vielleicht Boris und Ganmar. Sie musste unbedingt den Weyr erreichen, ehe sie sie einholten.
Wie kam es, dass sie so rasch zu ihr aufgeschlossen waren? Ob jemand doch ihre Flucht bemerkt und Lavel benachrichtigt hatte?
In die dünnste Wand des Telgar-Kraters hatte man
einen langen Tunnel gegraben, damit der Weyrkessel
auch auf dem Landweg zu erreichen war. Leuchtkörbe
erhellten den Gang. Nach dem scharfen Ritt bergauf
war Bilwil erschöpft, da er sich von der schweren Lang-holzarbeit vom Vortag nicht hatte erholen dürfen.
Debera bildete sich ein, hinter sich Männerstimmen
zu hören, die ihren Namen brüllten, und rammte Bilwil die Fersen in die Flanken; das Tier raffte sich zu einem holperigen Trab auf. Egal, wie hektisch sie ihm die Hacken gegen die Rippen klopfte, Bilwil konnte keine flottere Gangart mehr anschlagen.
Und dann vernahm sie das durchdringende Summen – als hätten die Felswände selbst die Melodie an-gestimmt. Debera wusste, was das bedeutete und stieß einen verzweifelten Schrei aus.
Nach all den Strapazen käme sie nun doch zu spät,
und es wäre kein Drache mehr übrig, der sich für sie hätte entscheiden können … auch wenn sie als geeigne-113
te Kandidatin auserkoren war. Wie konnte sie jetzt noch in ihre heimatliche Burg zurückkehren?
Doch diesen Ausweg zog sie gar nicht erst in Betracht. Sie kannte ihre Rechte. Man hatte sie gesucht.
Also durfte sie bis zum nächsten Schlüpfvorgang im
Weyr bleiben. Alles wäre besser, als sich wieder in das elende Dasein zu fügen, das daheim ihrer harrte. Ein Bündnis mit Ganmar hätte ihre Situation auch nicht wesentlich verändert, obwohl sie fest entschlossen gewesen war, zu dem jungen Bergmann eine richtige Beziehung aufzubauen.
Er sah ganz passabel aus, und ihre eigene Mutter hat-te sie aufgeklärt, dass es Mittel und Wege gab, einen Mann zu beeinflussen, ohne dass diesem die Manipulation auffiel. Doch ehe Milla in Details gehen konnte, war sie gestorben. Und Gisa, die offenbar geglaubt hatte, keinen anderen Mann mitzukriegen, wenn sie sich mit Lavel begnügt hatte, war das geborene Opferlamm und genoss es scheinbar noch, unterdrückt zu werden.
Wildes Hufgetrommel dröhnte durch den Tunnel,
und in ihrem unbändigen Willen, ihr Ziel doch noch zu erreichen, hämmerte Debera ihrem Reittier die Hacken gegen die Flanken. Das tapfere Ross setzte zu einem schwerfälligen Kantergalopp an, der Debera kräftig durchschüttelte, doch sie schafften es bis zum Weyrkessel.
Debera sah, dass sich in der Brutstätte nicht nur Menschen drängten, sondern dass die Sandfläche auch angefüllt war mit frisch geschlüpften, tollpatschigen Jungdrachen. Doch im Näherreiten entdeckte sie ein paar intakte Eier. Ihre Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen. Vor dem Eingang brauchte sie Bilwil nicht durchzuparieren, das entkräftete Tier blieb stehen, sobald sie mit den treibenden Hilfen aussetzte.
Sie glitt zu Boden und hetzte zur Brutstätte, just als ihr Vater, Boris und Ganmar nachrückten und ihr hinterher schrien, sie solle stehen bleiben und wieder zu 114
Verstand kommen … Hände griffen nach ihr, doch sie
wehrte sich und rang sich frei … gerade rechtzeitig, um Morath gegenüberzutreten – und endlich ihre wahre Bestimmung zu finden.
Während sie nun auf die Weyrling-Unterkünfte zu-steuerte, fühlte sie sich so ausgelaugt wie noch nie zuvor in ihrem Leben – doch sie war glücklich! Als sie nervös an der Tür rüttelte, um sie zu öffnen, steckte T'dam den Kopf aus dem Quartier der Knaben, die nebenan untergebracht waren.
»Du bist wieder da? Nun, Morath schläft wie ein
Stein. Und vermutlich bist du ebenfalls todmüde.«
Sie nickte, zu ermattet, um zu sprechen. Dann öffnete sie einen Flügel der Tür, die gerade mal so breit war, um ein Drachenjunges mit angelegten Schwingen einzulassen, und schlüpfte durch den Spalt. Sie hatte vor, die Tür gleich wieder zu schließen, doch T'dam folgte ihr und drehte einen Leuchtkorb auf. Dies war notwendig, denn andernfalls wäre Debera gegen die Lagerstatt des ersten Drachen geprallt.
Die Drachen ruhten auf schlichten hölzernen Plattformen, die einen Meter hoch über dem Boden aufragten und den Drachen genügend Platz boten, bis sie alt genug waren, um ihr Dauerquartier im Weyr zu
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