Drachenauge
eine schmutzige Arbeit anziehen. Nachdem die Drachen ihr erstes Ver-dauungsschläfchen gehalten haben, müssen wir sie
baden und mit Öl einreiben.«
Debera fiel der Stapel an Kleidungsstücken ein, den sie in der vergangenen Nacht kaum beachtet hatte.
Dauert es lange, bis du angezogen bist? , fragte Morath kläglich.
»Nein, es geht ganz rasch, Liebste.« Debera kehrte
Sarra den Rücken zu, streifte sich das Nachthemd ab und schlüpfte in die Sachen, die zuoberst auf dem Kleiderstapel lagen – derbe, abgetragene Klamotten, die sich gut für grobe Schmutzarbeit eigneten.
Die Socken waren neu, aus kräftigem Baumwollgarn
gestrickt, und dankbar tauschte sie sie gegen das Paar aus, das sie bereits seit mehreren Tagen an den Füßen trug. Hastig stieg sie in ihre Stiefel und stand vom Bett auf.
»Ich bin soweit, Liebste«, verkündete sie dem kleinen grünen Drachen, der von der erhöhten Schlafplattform hüpfte und prompt auf die Nase fiel.
Sarra kletterte über ein Bett, das im Weg stand, um Debera beim Aufrichten von Morath zu helfen. Dabei
bemühte sie sich so krampfhaft, einen Lachanfall zu un-128
terdrücken, dass sie beinahe erstickte. Sobald sich Debera davon überzeugt hatte, dass Morath bei dem
Sturz nicht zu Schaden gekommen war, grinste sie das Mädchen von Ista an.
»Sind sie immer so …?«
Sarra nickte. »Ja, das hat T'dam uns gesagt. Gleich vor der Tür steht ein Eimer mit Fleisch … Heute werden wir noch geschont«, sie rümpfte die Nase, »aber ab
morgen heißt es für uns, beim ersten Morgengrauen aus den Federn und für unsere Lieblinge das Frühstück zubereiten …«
Sarras grüner Drache stieß ein langgezogenes Schnauben aus. Das Mädchen wirbelte herum, um zu sehen, ob der Drache aufgewacht war. Doch der Schnarcher ver-ebbte zu einem hellen Seufzer, und der normale gurgelnde Atemrhythmus stellte sich wieder ein.
»Hat sie die ganze Nacht so gesägt?«, erkundigte sich Debera.
Hab sooolchen Hunger …
Sofort reagierte Debera, und Sarra lief voraus, um
beide Flügel des Tores zu öffnen. Als Debera und der Jungdrache an ihr vorbeimarschierten, vollführte sie eine schwungvolle Verbeugung. Morath schmiegte sich an Debera und drängte sie nach rechts ab; ihre Nase leitete sie schnurstracks zu den beiden zugedeckten Ei-mern, die auf einem Gestell vor der Kaserne standen.
Debera hob einen Eimer herunter, derweil Morath
ungeduldig mit den Lippen die Bedeckung zur Seite
schob und tief den vom Fleisch ausströmenden Geruch einzuatmen schien. Debera erlaubte Morath, sich das Maul zu füllen, danach stellte sie sich zwischen sie und den Eimer.
»Alles gut durchkauen, Morath, hast du mich verstanden? Andernfalls könntest du an einem Brocken ersticken, und was wird dann aus mir?«
Morath blickte so entsetzt drein, dass Debera nicht streng bleiben konnte.
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»Kauen!«, ermahnte sie und stopfte eine Hand voll
Fleisch in Moraths geöffnetes Maul. »Kauen!«, wiederholte sie, und gehorsam mahlte Morath mit den Kiefern, ehe sie sie erneut aufriss und um weiteres Futter bettelte. Debera hatte nicht umsonst die jungen Tiere in der Burg hochgepäppelt. Nun kam ihr ihre Erfahrung mit der Aufzucht von Neugeborenen zugute.
Wer immer den Eimer gefüllt hatte, wusste genau
über das Fassungsvermögen eines Drachenmagens Bescheid. Moraths Gier war beträchtlich abgeflaut, als Debera sich bis auf den Boden des Eimers vorgearbeitet hatte, und ehe der Drache den letzten Happen hinun-terschluckte, stieß er einen zufriedenen Seufzer aus.
»Wie ich sehe, hat sie gefrühstückt«, sagte T'dam, der so plötzlich auftauchte, dass Morath überrascht los-quiekte und Debera eilends versuchte, sich aus ihrer Hockstellung hochzurappeln. T'dam legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie sachte zurück.
»Hier im Weyr legen wir keinen großen Wert auf Etikette, Debera«, erklärte er freundlich. »Und nun bring Morath zu dem See dort drüben.«
Er zeigte nach rechts, wo Debera eine Kolonie aus gigantischen Buckeln als eine Herde schlafender Drachen ausmachte. »Lass sie ein Weilchen schlummern, und
wenn sie dann aufwacht, seid ihr direkt an Ort und Stelle, wo du sie baden und mit Öl einreiben kannst.«
T'dam grinste. »Aber ihre nächste Mahlzeit …« Mit der Hand deutete er nach links. »Bist du zimperlich?«
Debera schaute in die Richtung, in die er zeigte, und sah sechs gehäutete Tierkadaver, die an Fleischerhaken baumelten. Weyrlinge waren eifrig dabei, das Fleisch von den
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