Drachenblut 01 - Die Väter
Burg
nichts mehr zu befürchten haben. Ihre Mütter könnten wieder ruhig und unbesorgt
schlafen. Rosige, unbeschwerte Zeiten standen den Menschen auf der Burg bevor. Gunther?
Vermutlich war er schon lange tot. Die Zeiten waren rau. Man gewann heute
neue Freunde und verlor sie schon am nächsten Tage wieder. War es wirklich
richtig wegen eines Knappen ein solches Risiko einzugehen? Auch seine
Verantwortung für andere galt es nicht zu vergessen. Der Säugling, ebenso Lucy
... bereits morgen könnte er sie zu seinem Weibe machen. Was war da ein
widerborstiger Knappe, der mit großer Wahrscheinlichkeit schon nicht mehr am
Leben war, wert? Er zog an den Zügeln und hielt sein Ross an. Einen kurzen
Moment sah es so aus, als würde er umdrehen, um seine Reise in die
entgegengesetzte Richtung fortzusetzen. Die Burg würde er, selbst mit Weib und
Kind, in drei Tagen erreichen können. Siegfried schüttelte energisch den Kopf
und stieß dem Pferd die Sporen viel zu heftig in die Flanken. Der Gaul bäumte
sich auf und hätte ihn fast abgeworfen, bevor er die Reise in die ursprüngliche
Richtung wieder aufnahm. Das hatte Gunther nicht verdient. Er hatte zumindest
ein Recht darauf, dass sein Herr ihn suchte und fand ... selbst tot.
Erneut
passierte Siegfried die alte Eiche, welche ihm mittlerweile fast ans Herz
gewachsen war. Der sterbende Kaufmann hatte ihm hier den Weg gewiesen. Ohne zu
zögern, fiel Siegfried in leichten Trab. Es war schon spät. Zu spät eigentlich,
um ohne festes Quartier einfach drauflos zu reiten. Als unverwundbarer Ritter
hatte er selbst sicherlich wenig zu befürchten, dies galt jedoch nicht für sein
Ross. Sollten sie von Wölfen attackiert werden, dann dürfte sich Siegfried
ihrer erwehren können. Einem verletzten Pferd allerdings hätte er nur noch
einen Gnadenakt schenken können, um dann die Reise auf Schusters Rappen
fortzusetzen.
Eine
tiefschwarze Nacht hatte sich bereits über die Wälder gelegt, als Siegfried in
der Ferne einen Lichtschein erahnte. Vorsichtig näherte er sich dem Leuchten
und erkannte schon bald, dass es sich hierbei um eine Schenke handelte, welche
ihm jedoch recht verlassen erschien. Lediglich zwei Rösser waren vor der Tür
angeleint. Siegfried stieg hölzern ab. Ein solch ausgedehnter Ritt hinterließ
regelmäßig Schmerzen, die einen nicht selten auch in der folgenden Nacht noch
plagten. Wieder schaute er auf die Rösser neben seinem. Dann griff er unter die
Satteldecken und stellte fest, dass die Tiere nur kurze Zeit hier standen. Ihre
Reiter mussten sie gerade erst zurückgelassen haben - wahrscheinlich um sich im
Inneren der Schenke zu erfrischen. Eilig packte er sein Hab und Gut in die
Satteltaschen, schulterte diese, und machte sich auf in den Schankraum.
Finster
war es in der Gaststube. Die Luft war stickig und wirkte fast so, als ob hier
schon lange keiner mehr eine warme Mahlzeit oder einen Krug Bier genossen
hätte. Menschenleer lag die große Stube vor ihm. Nicht einmal der Wirt war weit
und breit zu sehen. Bewusst polternd stapfte Siegfried an den Tresen und
knallte seine Satteltaschen auf den selbigen. Gerade als er rufen wollte, öffnete
sich eine Tür, hinter der sich ohne Zweifel die Küche befinden würde. Ein
hagerer, ungepflegter Mann trat herein und baute sich hinter dem Tresen auf.
Wenig einladend musterte er Siegfried: »Was wollt Ihr? Ich kann Euch weder
Mahlzeit noch Quartier für die Nacht bieten. Ich bin ganz allein. Mein Koch ist
krank und mein Weib hat der Herr schon vor einigen Monden zu sich genommen.«
»Bist
du der Wirt in dieser Schenke?«, fragte Siegfried ungläubig.
»Was
sollte ich denn sonst sein? Seid Ihr eingetreten, um mich mit Euren Fragen zu
beleidigen? Sagt mir, was Ihr wollt, und dann verschwindet!«
Siegfried
ärgerte sich über die dumme Frage und beschloss in die Offensive zu gehen: »Wo
sind die beiden Männer?«
»Welche
Männer meint Ihr«, der Ton des Wirtes wurde immer unfreundlicher.
»Vor
deiner Tür stehen zwei Pferde - kurze Zeit erst … wo also sind ihre Reiter
geblieben?«
Der
Hagere verzog grimmig das Gesicht: »Ich sage es Euch zum letzten Mal - packt
Eure Taschen und verlasst meine Schenke - sofort!«
Ein
heftiges Poltern drang aus der Küche. Es krachte und schepperte fürchterlich.
Jetzt hörte Siegfried auch ein lautes Fluchen. Er stieß den Hageren beiseite
und stürmte schon im gleichen Moment durch die Küchentür.
Ein
seltsames Bild bot sich ihm. Gegenüber stand ein
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