Drachenblut
ihre Zöpfe flogen. »Es besagt eine ganze Menge! Das musst du doch wissen, Tieran.«
Tieran winkte ab. »Weshalb hast du das Handtuch geworfen?«
Emorra schürzte die Lippen und nahm sich viel Zeit mit der Antwort. Sie überlegte, ob sie ihm die volle Wahrheit anvertrauen sollte. SchlieÃlich erwiderte sie gedehnt: »Ich brach die Ausbildung ab, weil ich nicht gut genug war, Tieran. Ich fühlte mich überfordert. Ich wusste, dass ich niemals die Person sein konnte, die meine Mutter aus mir machen wollte, die Person, die ich nach der Tradition meiner Familie sein müsste , weil man es einfach von mir erwartet. Ich habe den strengen Anforderungen nicht genügt.« Sie schluckte hart. »Ich konnte nicht auf die nächste Epidemie, die nächste Mutation, die nächste biologische Katastrophe, warten â in dem Bewusstsein, dass uns die Hände gebunden wären, um ein Desaster abzuwenden. Die Instrumente, die man benötigt, um gewisse Dinge einzudämmen oder zu korrigieren, stehen uns nur noch ansatzweise zur Verfügung, und was wir haben, verfällt zusehends. Immer muss man damit rechnen, dass vielleicht kurz vor irgendeinem Fiasko genau die Ausrüstung versagt, die man am dringendsten gebraucht hätte, um zu helfen.« Sie blickte unglücklich drein. »Diese Situation konnte ich nicht länger ertragen. Ich konnte es einfach nicht! «
Tieran dachte, dass Emorra sich zwar vor einer Verantwortung gedrückt
hatte, aber sie hatte den Wissenschaften nicht gänzlich den Rücken gekehrt, sondern war Dekanin des College geworden. Er war fest davon überzeugt, dass sie in dieser hohen Position gar nicht umhin käme, aktiv zu werden, sollte »die nächste biologische Katastrophe« eintreten.
»Und wie sollen wir auf Pern überleben?«
»So gut wir können«, antwortete Emorra. »Wenn dieser Vorbeizug endet  â was bald der Fall sein wird â werden sich die Menschen in jeden bewohnbaren Winkel auf diesem Planeten verbreiten. Sie werden Kinder haben â viele Kinder â und diese Kinder werden Dinge essen, die sie nicht zu sich nehmen dürfen.«
Tieran nickte verstehend.
»Einige dieser Kinder werden krank werden«, fuhr Emorra fort. »Ein paar werden sterben, andere genese. Im Laufe der Zeit lernen die Menschen, welche Perneser Pflanzen und Tiere sie essen dürfen, und welche nicht. Wenn genug Zeit verstrichen ist, entwickeln sie eine ganze Reihe völlig neuer Krankheiten, und allmählich finden sie durch Versuch und Irrtum heraus, mit welchen pflanzlichen Arzneien sie ihre bis dato unbekannten Leiden behandeln.«
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Wenn das schlimmste Szenario eintritt, sterben vielleicht die meisten Bewohner dieses Planeten an irgendeiner sich rasch verbreitenden Seuche. Leute, die an isolierten Orten wohnen und sich nicht infizieren, werden dann die einzigen Ãberlebenden sein und diese Welt neu bevölkern.« Sie holte tief Luft. »Und darauf hoffen wir«, schloss sie.
Tieran schaute skeptisch drein. Emorra wandte sich von ihm ab und richtete den Blick auf das ferne College. »Ist das Kassa?«, fragte sie unvermittelt und deutete auf eine Frau, die aus dem Tor des College trat und raschen Schrittes auf den Turm zusteuerte.
Tieran spähte nach unten. »Ja, das ist sie.«
»Sie ist hübsch«, meinte Emorra mit eigenartiger Betonung.
»Und sie ist in festen Händen«, seufzte Tieran.
Emorra hob die Hand und zauste liebevoll sein Haar. »Du wirst schon die Richtige finden«, tröstete sie ihn.
Tieran setzte ein zynisches Lächeln auf und fuhr mit dem Finger die Narbe nach, die von der rechten Schläfe bis zu seiner linken Wange verlief. »Aber nicht damit !«
Emorra lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch dann hielt sie den Mund und schüttelte nur traurig den Kopf.
Dann hörten sie, wie Kassa die Treppe hinaufstieg. AuÃer Atem kam das Mädchen auf der Turmspitze an. »Entschuldigung, Dekanin! Ich habe mich für ein kurzes Nickerchen hingelegt und bin dann fest eingeschlafen. Ich hatte gar nicht auf die Zeit geachtet.«
»Das macht nichts«, erwiderte Emorra gutmütig und schickte sich ihrerseits an, die Treppe hinunterzuklettern. »Ich wünsche euch viel Spaà hier oben.«
Zum Abschied winkte sie Tieran fröhlich zu.
Â
»Das Unangenehme an dieser Arbeit ist, dass es
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