Drachenblut
zum ersten Mal die Fäden fielen? Nicht einmal volle acht Jahre konnten sie in Ruhe mit der Besiedlung Perns beginnen. Dann mussten sie Knall auf Fall alles, was sie geschaffen hatten, aufgeben und sich hierher in den Norden flüchten.«
Emorra nickte. Seufzend stand sie auf und stellte sich neben ihn.
»Die Zeit reichte nicht aus, um den Planeten gründlich zu erforschen, nicht wahr?«, meinte Tieran.
»Nein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie aus schierer Not die Drachen erschaffen mussten«, stimmte Emorra zu. »Mutter hat mir nie viel von diesen Anfängen erzählt, und die Berichte sind sehr vage.«
Sie runzelte die Stirn und fragte sich wieder einmal, warum ihre Mutter nicht dafür gesorgt hatte, dass sie jeden Bericht über die ersten Erforschungen des Planeten zu lesen bekam.
»Wie viel Prozent dieser Welt hat man erkundet? Fünf Prozent â zehn Prozent?«, fragte Tieran.
Emorra schüttelte den Kopf. »So viel ich weiÃ, ungefähr drei Prozent.«
Plötzlich glaubte sie zu wissen, warum Windblüte sich bezüglich der Berichte so zurückhaltend gab. Ihre Reserviertheit sollte Emorra dazu animieren, sich die Informationen selbst herauszusuchen.
Mutter, du hast mich manipuliert â wieder einmal! dachte Emorra ergrimmt.
Tieran schnaubte verächtlich, ohne zu ahnen, was Emorra in diesem Augenblick dachte und fühlte. »Drei Prozent des gesamten Ãkosystems â mehr nicht?«
»Es gibt eine exakte Beschreibung des Genoms der Feuerechsen«, klärte sei ihn auf. »Sie ist nahezu komplett, über siebenundneunzig Prozent sind erforscht. AuÃerdem hat man noch zwei oder drei weitere Genome entschlüsselt, unter anderem eines der am häufigsten vorkommenden Bakterien.«
»Und was ist mit dem Genom der Fäden?«
»Das musst du doch wissen, Tieran«, gab Emorra zurück. »Mutter sagt, dass das Genom der Fäden komplett dekodiert wurde â¦Â«
»Aber bei der Zweiten Ãberfahrt ging das Wissen verloren«, schloss Tieran. Verlegen blickte er Emorra an.
Jeder kannte die Geschichte. Windblüte war für einen groÃen Teil der Ausrüstung und der Aufzeichnungen verantwortlich gewesen, die bei der so genannten Zweiten Ãberfahrt vernichtet wurden. Wegen Vulkanausbrüchen und Erdbeben waren die Siedler gezwungen gewesen, den Südkontinent, auf dem sie ihre erste Kolonie gegründet hatten, zu verlassen. Mit einer Armada von Schiffen kreuzte man zum Nordkontinent, doch die Flotte geriet in einen schweren Orkan, und viele Schiffe gingen unter. Um von seinem Patzer abzulenken, fuhr der Junge hastig fort. »Und zu dem Fieberjahr kam es, als Virenstämme von der Erde mutierten, und das Immunsystem der Menschen überfordert war.«
»Ja, davon geht man aus«, bestätigte Emorra. »Für eine Crossing-over-Infektion 6 war es noch viel zu früh.«
»Was glaubst du, wann dieser Fall eintreten könnte?«
Emorra zuckte die Achseln. »Man kann nur hoffen, dass die Menschen auf Pern überleben werden. Trotz der knappen Zeit haben meine Mutter, meine GroÃmutter und alle anderen Wissenschaftler alles getan, um uns an das Leben auf diesem fremden Planeten anzupassen. Dieser Adaptionsvorgang wurde bereits vor der Ankunft eingeleitet.«
»Bist du deshalb aus der medizinischen Fakultät ausgeschieden?«,
wollte Tieran wissen. »Hast du deine Mutter aus diesem Grund verlassen? War es die Vorstellung, einfach abwarten zu müssen und darauf zu hoffen, dass eine Epidemie zu dem Zeitpunkt ausbrechen würde, wenn man noch über Mittel und Wege verfügte, um sie zu bekämpfen? Denn wenn hier eine Seuche um sich greift, und man besitzt nicht mehr die Ausrüstung und die Erfahrung, um den Erreger zu identifizieren und ein Medikament gegen die Krankheit zu entwickeln, könnte dies das Ende der gesamten Perneser Bevölkerung bedeuten.«
»Eine Gegenfrage, Tieran«, gab Emorra zurück. »Ist das vielleicht der Grund, warum du meine Mutter verlassen hast?«
Tieran nickte bedächtig.
»Du hast es länger bei ihr ausgehalten als ich«, gestand Emorra ein. »Nach vier Jahren hatte ich genug und ging. Du bliebst volle sechs Jahre. AuÃer meiner Mutter bist du der am besten qualifizierte Genetiker auf Pern.«
Tieran schnaubte geringschätzig. »Das besagt nicht viel.«
Emorra schüttelte so heftig den Kopf, dass
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