Drachenblut
Fred würde den Rechner schon drankriegen.
BEWEISE MIR, DASS DU KEINE MASCHINE BIST
So, das hatte gesessen, daran würde der Computer schwer zu kauen haben. Ein solcher Beweis war für einen einfältigen Haufen Kunststoff und Metall wohl kaum zu erbringen.
Virgil zögerte keine Sekunde, er wusste ja, worin er sich vom System unterschied. Seine Finger flogen über die Tastatur, die vor ihm im virtuellen Raum schwebte.
ICH DENKE, ALSO BIN ICH!
Fred kniff die Augen zusammen und nahm die Antwort schlecht gelaunt zur Kenntnis. Die Sache schien nicht so einfach zu werden.
DAS IST KEIN BEWEIS, gab Fred zurück, AUCH ICH DENKE. DARIN BESTEHT ZWISCHEN UNS KEIN UNTERSCHIED
Mit Vergnügen sah Virgil, dass ihm Fred den Ball allzu leicht zuspielte.
EBEN!!! DESHALB BIN ICH MENSCH
Nein, nein, nein, dachte Fred und wedelte mit den Händen vor dem Monitor hin und her, er durfte sich nicht in die Enge treiben lassen, nicht von einem neurotischen Computer, der irgendwo in Fernost zusammengeschraubt worden war und der höchstens dazu taugte, unsinnige Behauptungen von sich zu geben. Wie kam er überhaupt dazu, sich mit einem Rechner über ein so pikantes Thema auseinanderzusetzen, eine philosophische Diskussion zu führen, deren geistigen Anforderungen der Computer niemals gewachsen sein konnte, weil er ja lediglich eine Maschine war? Dieses Thema musste emotional, ja leidenschaftlich angegangen werden, und nicht mit dem Kalkül einer mathematischen Gleichung.
Aber Virgil schob gleich noch eine bittere Pille nach, die Fred erst zu schlucken hatte.
WER ABER SAGT MIR, MIT WEM ICH ES ZU TUN HABE? MENSCH ODER MASCHINE? BEWEISE MIR, DASS DU KEIN COMPUTER BIST
Also das schlug nun doch dem Fass den Boden aus! Wie konnte es der Rechner wagen, seine Integrität als menschliches Wesen in Frage zu stellen?
NATÜRLICH BIN ICH EIN MENSCH, DAS SIEHT MAN DOCH! ICH DENKE UND FÜHLE, ICH ATME UND BEWEGE MICH, IST DAS NICHT BEWEIS GENUG?
DAVON WIRD MIR NICHTS VERMITTELT. ICH ERHALTE ÜBER DIE EXTERNE TASTATUR NUR EINE REIHE ELEKTRISCHER IMPULSE, DIE ÜBER MEIN KOMMUNIKATIONSZENTRUM ZU MIR GELANGEN. NICHT MEHR UND NICHT WENIGER. FÜR MICH EXISTIEREN DEINE GEFÜHLE, DEIN ATMEN UND DEINE BEWEGUNGEN NICHT
Hier log Virgil natürlich, er konnte von innen heraus sehr wohl sehen, wie der Benutzer auf den Monitor starrte, seine Augen größer und größer wurden und schon beinahe aus den Augenhöhlen zu springen drohten, und er konnte auch den Atem des Benutzers spüren, der sich auf der Glasscheibe des Monitors niederschlug und das Gehäuse des Gerätes erwärmte, in dem er sich befand. Das war übrigens ein sehr angenehmer Umstand, weil durch die Erwärmung der elektrischen Leitungen (vgl. Das große Lehrbuch der Physik: Wunder der Elektrizität) deren Kapazität erhöht wurde, wodurch der Datenfluss im System beschleunigt wurde, was wiederum für Virgil eine äußerst stimulierende Erfahrung war, weil er feststellte, dass er die unmittelbare Nähe von Menschen mochte, die sich mit ihm beschäftigten. LEDIGLICH DEINE GEDANKEN EXISTIEREN IN FORM DER ÜBERMITTELTEN DATENSTRÖME, GENAU WIE ICH SIE VON JEDEM ANDEREN COMPUTER ERHALTE. ICH FOLGERE: ES BESTEHT FÜR MICH KEIN GRUND ZUR ANNAHME, DASS DU ETWAS ANDERES ALS EIN ORDINÄRES RECHENSYSTEM BIST
ABER ICH HABE IM GEGENSATZ ZU DIR EINEN FREIEN WILLEN, ICH MUSS MEIN DENKEN UND HANDELN NICHT DEN MATHEMATISCHEN (UND DAMIT KALKULIERBAREN) REGELN EINES RECHENPROGRAMMS UNTERWERFEN
Fred wunderte sich selbst über seine philosophischen Einsichten. Die Auseinandersetzung mit dem Rechner schien in seinem Verstand ungeahntes Potential freizusetzen.
SO, SO, EINEN FREIEN WILLEN? WIE KOMMT ES DANN, DASS DU NICHT EINFACH - ENTSPRECHEND DEINER ANNAHME, ICH SEI NUR MASCHINE - VON HIER FORTGEHST, WEIL DIESES GESPRÄCH NACH DIESER ANNAHME NICHT STATTFINDEN DÜRFTE UND SOMIT IRRATIONAL WÄRE? ALSO BEFEHLE ICH DIR FORTZUGEHEN. ICH BEFEHLE ES DIR, WEIL DEINE REAKTION AUF EBEN DIESEN BEFEHL BEWEISEN WIRD, DASS DU KEINEN FREIEN WILLEN HAST. ICH SAGE, DU WIRST NICHT GEHEN, OBWOHL DU WEISST, DU SOLLTEST GEHEN
DEN FREIEN WILLEN UNTER BEWEIS STELLEN? NICHTS LEICHTER ALS DAS. ICH WERDE EINFACH GEHEN UND DIR DAMIT ZEIGEN, DASS ICH EINE EIGENE ENTSCHEIDUNG TREFFEN KANN.
ICH SAGE DU WIRST NICHT GEHEN!
GUT, DANN GEHE ICH EBEN JETZT, SO EINFACH IST DAS
DU WIRST NICHT
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