Drachenblut
den sechs Buchstaben, die sich beharrlich weigerten, Bedeutung anzunehmen, sondern bei ihm, dem Autor, auch wenn sein Selbstverständnis als Künstler eine solche Möglichkeit nicht ohne Weiteres akzeptieren wollte.
Erneut riss sich Arthur zusammen. Er legte ein frisches Blatt Papier vor sich auf den Tisch, strich es mit einer entschlossenen Bewegung glatt und ersann einen Gedanken, den er jetzt zu Papier bringe würde, damit er sich im Gehirn des Lesers entwickeln und heranwachsen konnte. Hatte er diesen Effekt erreicht, dann hatte seine Kunst Früchte getragen.
Es war ein langer Weg von der Saat bis zur Ernte. Arthur musste frustriert feststellen, dass seine Anstrengungen offensichtlich vergeblich waren. Die Partikel, die sein Gehirn projizierte, vermochten die Materie nicht zu gestalten oder zu beeinflussen. So neu wie ihm die Arbeit mit Tinte und Papier war, so neu war ihm diese Erfahrung. Hier versagte seine gewohnte Art zu schaffen und zu kreieren. Es war einfach an der Zeit, dass Arthur seine Partikeltheorie überprüfte.
Auf der Suche nach einer Antwort ließ Arthur seine Gedanken in die Ferne ziehen. Er spielte mit seinem Füller herum und zeichnete gedankenverloren Kreise und Spiralen auf das Blatt Papier. Als er auf seine Zeichnungen schaute und sich sein Blick im Gewirr der Spiralen und Kreise verfing, kam ihm die Erleuchtung. Das waren keine Partikel, die sein Gehirn aussandte und die er bisher als die schöpferische Quelle seiner schriftstellerischen Tätigkeit angesehen hatte. War es vielmehr nicht so, dass sein Gehirn Wellen ausstrahlte, die seinen Körper und seine Sinne zum Schwingen brachte?
Diese Überlegung führte dazu, dass Arthur in diesem Augenblick eine Wellentheorie entwickelte, aus der sich eine mögliche Lösung für sein Problem ergab.
In jener Haltung, in der Arthur am Tisch saß, entsprach sein Arm dem Zeiger eines Seismographen, der jede auch noch so geringe Schwingung des Gehirns registrierte, welche durch die Muskeln, Knochen und Sehnen des Körpers an die Hand weitergeleitet wurden. Bei dieser Erkenntnis schloss Arthur freudig erregt die Augen, setzte die Spitze seines Füllfederhalters behutsam auf das Schreibpapier und versuchte sich diesen Wellen hinzugeben, die ihn in jeder Sekunde umgeben und durchdringen mussten. Arthur wagte sich kaum vorzustellen, welche Geheimnisse er seiner Seele entreißen konnte, welche Entdeckungen und Abenteuer ihn im Reiche der Phantasie erwarten würden.
Die Minuten verstrichen, ohne dass Arthur Schwingungen irgendeiner Art empfing. Stattdessen wurde ihm sein Arm schwer, den er frei über dem Tisch hielt und dessen Gewicht zunehmend die stählerne Feder seines Füllers verbog, die unter der Last des Armes durch das Schreibpapier stach und sich in das darunter befindliche Edelholzfurnier des Schreibtisches bohrte.
Arthur war schon drauf und dran das Experiment abzubrechen, als seine Hand unvermittelt aus ihrer lethargischen Position gezwungen wurde, zur Seite ausschlug und der Füllfederhalter einen dünnen Strich auf das Blatt Papier zeichnete. Verblüfft starrte er auf seinen Arm, der gleich darauf wieder zurück schwang und erneut eine Linie auf dem Papier hinterließ. Das ging so immer schneller hin und her, bis das Blatt mit schwarzen Strichen voll gesudelt war. Arthur konnte kaum fassen, was er da sah. Das Experiment schien seine Wellentheorie zu bestätigen.
Aus lauter Freude über diese Feststellung entging ihm die Tatsache, dass sich ein ordinärer Muskelkrampf seines Armes bemächtigt hatte, der sich gegen die ungewohnte Belastung wehrte und aus seiner Stellung auszubrechen versuchte.
Im gleichen Maße, in dem Arthur über die von ihm neu entwickelte Wellentheorie in Entzückung geriet, sperrte er sich gegen die entmündigende Vorstellung, er sei nur ein passiver Wellenempfänger. Sein Selbstverständnis als freier Künstler verlangte, dass er der Souverän seiner gestalterischen Energie war. Womöglich bot hier jedoch die Kombination der Partikeltheorie und der Wellentheorie einen Ausweg aus der ideologischen Sackgasse. Vielleicht schlossen sich beide Modelle nicht gegenseitig aus, sondern ergänzten sich dahingehend, dass sich mit ihrer beider Hilfe die Kunst in ihrem Wesen endgültig definieren ließ.
Die Geburt einer kreativen Idee wurde gemeinhin auch als Geistesblitz bezeichnet. Ein Blitz war Licht, und das Licht konnte wiederum in seiner Wirkung als
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