Drachenblut
auf einen Bösewicht vom Format eines Dr. Freak konnte man in der Fernsehunterhaltung nicht verzichten. Auf ihn, den Schauspieler, war man hingegen nicht mehr angewiesen. Alte Folgen der Serie konnten in allen nur erdenkbaren Variationen umgeschnitten und neu synchronisiert werden, sofern sie nicht sowieso komplett wiederholt wurden. Was brauchte man da noch einen alternden Schauspieler, der für seine Arbeit auch noch bezahlt werden wollte?
Mit melancholisch verklärten Gesichtszügen setzte sich Dr. Erzbergh vor den Spiegel und begann sich abzuschminken. Zuerst entfernte er den Glassplitter, der seit dem kleinen Unfall im Labor in seinem Hinterkopf gesteckt hatte (wir erinnern uns). Wie gut es doch tat, nach all den Jahren das unbequeme Stück endlich los zu sein! Mit spitzen Fingern legte er die blutverschmierte Requisite vor sich auf den Tisch. Nachdenklich betrachtete Dr. Carl Erzbergh die Scherbe. Er musste sich eingestehen, dass er sie, jetzt, wo sie nicht mehr an ihrem gewohnten Platz war, doch ein wenig vermisste. Aber das war kein Wunder, nach dreihundertzwölf Folgen war er mit seiner Rolle so verwachsen, dass er schon gar nicht mehr genau wusste, wie denn der Mann hinter dem Make-up aussah.
Als sich Dr. Erzbergh die struppige Perücke vom Kopf zog, riss er sich die letzten Büschel Haare aus. Er musste sich mit seinem vergilbten Schneidezahn schon auf die Unterlippe beißen, um den Schmerz zu ertragen. Speichel tropfte von seinem Mundwinkel in die Puderdose auf dem Schminktisch und machte die Kosmetika unbrauchbar. Vielleicht war es besser, wenn er die Maske zu einem späteren Zeitpunkt abnahm. Es hatte ja keine Eile, schließlich war er lange genug in diesem albernen Aufzug herumgelaufen.
Weil er nichts Besseres zu tun hatte, entschloss sich Dr. Erzbergh dazu, seine Siebensachen zusammenzupacken. Die unzähligen Requisiten im Kleiderschrank erinnerten ihn an die Zeiten, in denen er zum Ergötzen der Zuschauer Woche für Woche um die Weltherrschaft gekämpft hatte.
Da war etwa diese kleine Kapsel aus gehärtetem Titanium, in der ein raffiniert konstruierter Positronenbeschleuniger enthalten war. In der Folge DER TODESSCHREI DER KALI hatte dieses reizvolle Spielzeug für Aufregung gesorgt, weil es im entscheidenden Moment versagt hatte. Jemand hatte tatsächlich versäumt, das mechanische Federwerk des Gerätes vor Gebrauch aufzuziehen.
Auch gab es den berüchtigten Energie-Resonator, eine geniale Apparatur, die in der ABRECHNUNG IN DODGE CITY eine bedeutende Rolle gespielt hätte, wenn sie im Kampf gegen Captain Starlite © rechtzeitig zum Einsatz gekommen wäre.
Die Episoden KEINE GNADE FÜR OSAKA (Teil 1) und DIE RACHE DES DR. FREAK (KEINE GNADE FÜR OSAKA - Teil 2) hatten die Erfindung des auch bei den Zuschauern sehr beliebten Ionenreflektors erlebt, mit dem sich allerlei Unheil hätte anrichten lassen, wenn die Bedienungsanweisung nicht dermaßen schwer verständlich gewesen wäre, dass sich deren praktische Umsetzung selbst für eine Kapazität wie Dr. Freak als beinahe unmöglich erwiesen hatte.
Auf jeden Fall packte er den Apparat zu den anderen Sachen in seinen Koffer. Es konnte ja nie schaden, einen originalen Ionenreflektor auf Lager zu haben. Die nächsten Wochen hatte er bestimmt ausreichend Zeit, sich eingehend mit der Bedienungsanleitung auseinanderzusetzen.
Dann zog Dr. Erzbergh ganz hinten aus dem Schrank eine Tüte mit Backpulver hervor. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, in welcher Folge das Pulver eine Rolle gespielt hatte.
»Sind Sie denn immer noch hier?« Ein Produktionsassistent schob seine Nase zur Tür herein. »Sie sollten die Garderobe schon längst freigemacht haben. Der Chef lässt ausrichten, dass er Sie in einer halben Stunde aus dem Studio haben will.«
Dr. Erzbergh ließ das weiße Pulver in seinem Koffer verschwinden. »Ich bin ja gleich fertig. Man wird ja wohl noch seine Sachen zusammenpacken dürfen!« Mit säuerlicher Miene schlug er den Deckel des Koffers zu, schnappte sich seinen Hut vom Kleiderständer und drängte sich am Produktionsassistenten vorbei zur Tür hinaus, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Der schwere Koffer baumelte vom Metallhaken seiner rechten Hand und schlug ihm bei jedem Schritt gegen das linke Knie, auf dem sich noch immer die Brustwarze befand, welche im Zuge der Hauttransplantation dorthin verpflanzt worden war. Diese unerwartete Reizung
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