Drachenbraut
betrachtete ihn mit einem solch intensiven Blick, dass Valentin tatsächlich für einen Moment Mühe hatte, den stechenden grünen Augen standzuhalten.
«Dann bin ich in der Nähe. Aber die Alben brauchen Zeit, um sich von den hier herrschenden physikalischen Gegebenheiten zu erholen. Sie können nicht sofort wieder losschlagen.»
Sie mussten abwarten. Abwarten, bis herausgefunden war, wo genau der Riss sich befand. Die Dunklen wussten, wer Dr. Josefine Rosenberg war, genau wie er es jetzt wusste, aber für den Moment war sie sicher.
Gemeinsam erklommen sie die Treppenstufen. Ab der vier ten Etage wurde Valentin sehr deutlich bewusst, dass ein normaler Mensch für diese Höhe definitiv den Aufzug benutzt hätte.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte sie: «Ich hasse Aufzüge. Außerdem mache ich eh zu wenig Sport. Da bietet sich das an.»
«Ich mag auch keine Aufzüge», murmelte er.
Er schmunzelte erstaunt von sich selbst, dass ihm dieses Defizit so freimütig über die Lippen kam. In der neunten Etage angekommen hörte er das Blut durch die Adern rauschen. Der Streifschuss pochte und für eine kurze Sekunde spürte er körperliche Schwäche nach ihm greifen. Er hatte der ersten Kugel auf dem Flur der Intensivstation nicht ausweichen können, weil Dr. Rosenberg in seinem Arm so gezappelt hatte. Aber weder tropfte ihm das Blut aus dem Ärmel, noch war der Schmerz so stark, dass er ihn nicht weiter ignorieren konnte. Es war ein Kratzer, nicht mehr, und er würde sich später damit befassen.
Ihre Wohnung war gut geschnitten und ihr Einrichtungsstil pendelte irgendwo zwischen «keine Möbel», «chaotische Zustände» und «stilvollem Ambiente».
«Ich wohne hier noch nicht so lange», murmelte sie fast entschuldigend, als sie mit dem Fuß einen Wäscheberg neben der Tür beiseiteschob.
Er sah sich um. Das Bett bestand nur aus einer Matratze und war mit rosa gepunkteter Bettwäsche ausgestattet. In der Ecke des Zimmers stand eine Le-Corbusier-Liege, daneben ein Eileen-Gray-Tisch, auf dem ein kleiner Strauß blassrosa Tulpen platziert war.
Genauso ging es weiter. Entweder tobte das Chaos auf dem blanken Holzfußboden oder es standen Designklassiker liebevoll arrangiert herum, garniert mit dem ein oder anderen ausgewählten und vermutlich geschmackvollen Deko-Objekt. Das alles war erstaunlich wenig hilfreich: Diese Wohnung war für ihn genauso verwirrend wie ihre Bewohnerin.
Unbemerkt hinterließ er eine Signatur seiner Macht, Hinweis an jeden, der sich dieser Wohnung nährte, dass er mit der Bewohnerin in engem Kontakt stand, dann lief er die neun Etagen wieder hinunter. Erneut pochte der Schmerz in der Wunde an seiner Schulter.
Aber etwas anderes überlagerte diesen Schmerz. War so intensiv, dass er es nicht ausblenden konnte. Allein durch ihre Nähe schien sich der Panzer um seine Seele gelockert zu haben. In ihm brodelten Gefühle, die er seit Jahrhunderten fest unter Verschluss gehalten hatte. Die jetzt mit aller Kraft versuchten, an die Oberfläche seines Bewusstseins zu gelangen.
Er fuhr sich durch das Gesicht, als würde das helfen, das Chaos in ihm zu beruhigen, und lief zu seinem Auto. Bis zum Hotel waren es nur wenige Meter, dennoch nahm er den Wagen, um ihn in der Tiefgarage parken zu können. Der Schaden am Aston Martin war unübersehbar, und er wollte vermeiden, dass der Luxuswagen zu viel Aufmerksamkeit auf sich zog.
Als er den Motor abstellte, fiel sein Blick auf die vergoldeten Instrumente in der Mittelkonsole. Eine kostspielige Sonderanfertigung. Er hatte ihren befremdlichen Blick auf den so offen zur Schau gestellten Luxus sehr wohl bemerkt.
Die Kreatur in ihm liebte Schätze. Sie bewachte und hortete sie. Aber sie teilte auch, sorgte gut für die Ihren. Er sammelte goldene Uhren, Schmuck un d Edelsteine, weil Angehörige seines genetischen Erbes das nun mal taten. Doch seit es niemanden mehr gab, mit dem er sie hätte teilen können, hatte er keine Freude mehr daran. Die Geschmeide waren jetzt einzig und allein ein Attribut seiner zweiten Natur.
Er bezog mit Oskar im Schlepptau die größte und weitläufigste Suite des Hotels, damit die Beklemmung, die er mit geschlossenen Räumen verband, nicht die Überhand gewann. Nachdem er den Hund mit Wasser versorgt hatte, lief er langsam zum Badezimmer und knöpfte sich dabei das Hemd auf. Er brauchte eine Dusche. Vielleicht würde das seine kreisenden Gedanken etwas ordnen.
Er stellte das Wasser an und entledigte sich der restlichen
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