Drachenbraut
dichten Bäumen war sanft geschwungen. Diese Ecke Deutschlands war ihr völlig fremd. Sie war ein Kind des Nordens und liebte die Küsten mit ihrer weiten Einsamkeit. Diesen Landstrich hatte sie zuvor immer mit Kurkliniken in Verbindung gebracht.
Wenige Minuten später wies die Stimme der Navigation sie an, links abzubiegen. Nur das dort, wo sie abbiegen sollte, keine wirkliche Straße war. Sie fuhr langsam an dem schmalen forstwirtschaftlichen Weg vorbei, der offensichtlich die einzige Möglichkeit darstellte, die Landstraße zu verlassen, aber für den breiten Wagen viel zu eng wirkte.
«Du musst umdrehen.»
Valentins Stimme klang heiser, als er sie ansah. Das erste Mal, seitdem sie abgefahren waren, blickte er sie direkt an. Die menschliche Tarnung saß wieder ganz gut, wenn man von den kleinen gelben Sprenkeln in seinen braunen Augen absah.
«Das war keine richtige Straße», murmelte sie, wendete aber und bog dann in den ungeteerten, schmalen Pfad zwischen den dicht an dicht stehenden Bäumen ein.
Der Aston Martin rumpelte über den mit Schlaglöchern übersäten Weg und Josefine drosselte die Geschwindigkeit, bis sie nur noch im Schritttempo vorankamen.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine mit hellgrauem Naturstein gepflasterte Einfahrt auf. Einige Hundert Meter weiter erhob sich ein weiß getünchter, zweigeschossiger Bau vor ihnen. Bodentiefe Fenster in einem satten Grauton, moderne Edelstahllaternen, die den Weg säumten, und eine elegante Buchsbaumreihe direkt vor dem Haus rundeten den sehr gepflegten Eindruck ab. Mit so etwas hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
Das von ihm gebrauchte Wort «Wochenendhaus» hatte ihr eine schlichte Holzhütte im Wald suggeriert. Aber dieses stattliche Anwesen würde selbst in der Hamburger Elbchaussee nicht weiter auffallen.
Das Haus glänzte strahlend weiß in der gleißenden Mittagsonne und kein noch so kleines Unkraut hatte sich in den Fugen der gepflasterten Einfahrt niedergelassen. Sämtliche Fensterscheiben spiegelten die Sonnenstrahlen und die Buchsbaumreihe musste erst vor kurzer Zeit frisch beschnitten worden sein. Er musste ganze Heerscharen beschäftigen, um dieses luxuriöse Anwesen vor einem umtriebigen Übergriff der direkt an das Grundstück grenzenden wilden Natur zu bewahren.
Sie lenkte den Wagen rückwärts neben die Wand eines der Nebengebäude und stieg aus. Valentin stieg ebenfalls aus und lehnte sich mit den Ellenbogen auf das Wagendach. Oskar scharwenzelte einmal freudig um ihn herum, dann verschwand er hinter einem mannshohen Bambus, der in Verlängerung der Wand stand und den weitläufigen Garten abschirmte.
«Wer lebt hier noch?»
Sie drehte sich einmal um die eigene Achse, um das Anwesen in seiner ganzen Pracht auf sich wirken zu lassen. Das Haus war eine sehr gelungene Mischung aus moderner Architektur und traditionellen Elementen. Sämtliche Fenster waren mit Fensterläden im selben warmen Grauton wie die Rahmen versehen und die Eingangstür wies eine kunstvoll verschnörkelte Oberfläche auf, wie sie es sonst nur von alten Bauernkaten kannte. Trotz oder gerade wegen dieser offensichtlichen Widersprüche wirkte das Haus extrem elegant und dennoch heimelig und gemütlich.
«Matthias. Er sollte eigentlich hier sein.»
Valentin drehte witternd den Kopf. Sie erhaschte erneut einen kurzen Blick in seine Augen, das Braun war jetzt fast komplett verschwunden. Nun waren sie wieder grün und gelbe Flammen züngelten durch die Iris. Der Drache driftete an die Oberfläche.
«Wer ist Matthias?»
Seine Anspannung war plötzlich fast greifbar. «Matthias ist ein Wandler. Er kümmert sich hier um alles.»
Er drehte den Kopf nach rechts und schien in die Stille zu lauschen.
«Hier stimmt etwas nicht.»
Sie formulierte die Worte nicht wie geplant als Frage. Jetzt war es eine Feststellung, denn ihr Instinkt hatte ganz plötzlich angeschlagen. Sie atmete tief durch und versuchte sie sich von dem plötzlich nach ihr greifenden Gefühl des Grauens zu befreien. Vorsichtig trat sie einen Schritt neben das Auto.
Sie vernahm ein leises Klicken. Im nächsten Atemzug tauchte Valentin aus dem Nichts neben ihr auf und riss sie mit sich zu Boden. Ein Schuss krachte über sie hinweg. Ein zweiter zerschmetterte die Windschutzscheibe des Sportwagens.
Sie rollte sich, so gut es ging, unter Valentins schwerem Körper zusammen, aber ihr fehlte, so zwischen Boden und Valentin eingekeilt, Luft zum Atmen.
Oskars lautstarkes Bellen durchbrach die
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