Drachenbraut
den Fahrersitz gleiten und griff zum Anschnallgurt. «Scheiße», murmelte sie und ließ den Wagen wieder an.
Das sah alles nicht gut aus. Für ihn und für diese Welt.
Allerdings fühlte er sich ziemlich umnebelt, und dass der Schmerz so plötzlich verschwunden war, brachte seinen Kreislauf ein wenig durcheinander. Deshalb hatten diese elementaren Dinge für diesen Moment gar keine so große Bedeutung. Denn da war jemand, der ihn erkannt hatte. Der ihm tief in die Seele geschaut hatte und nicht schreiend davongelaufen war.
Und da war noch ein weiterer Gedanke, den er aber nicht mehr zu fassen bekam, denn im nächsten Moment begrub ihn der Schmerz wieder unter seiner erbarmungslosen Wucht.
Kapitel 17
Ihre kreisenden Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Die Autobahn war frei und so gab der Verkehr wenig Möglichkeiten, sich abzulenken. Sie hatte etwas gespürt. Etwas, was ihre Gabe schon einmal beschäftigt hatte. Einen dunklen Schleier, tief in seinem Organismus, der zerstörerisch zu Werke ging. Aber sie wusste nicht, was es war. Und es war auch sehr fraglich, ob es sie weiterbrachte, wenn sie den Stoff, der sich dort eingenistet hatte, mit Namen kannte.
Valentin sprach, seitdem sie den Parkplatz verlassen hatten, nicht mehr. Er schien sich an einen Ort in seinem Innersten zurückgezogen zu haben und wirkte völlig unerreichbar für sie. Ihre Gabe schien den Schmerz, zumindest vorübergehend, gelindert zu haben. Jetzt war er wieder da. Sie trat das Gaspedal voll durch. Oskar winselte leise aus dem Fußraum, als die Tachonadel die zweihundert überschritt.
«Tut mir leid, Kleiner. Wir müssen uns beeilen», murmelte sie und hätte dem Hund gerne den Kopf gestreichelt, traute sich aber bei der hohen Geschwindigkeit nicht, eine Hand vom Lenkrad zu nehmen.
Valentin hatte die Augen geschlossen und den Kopf gegen den Sitz gelehnt. Dass er nicht schlief, erkannte sie daran, dass er sich immer wieder vor Schmerzen leicht zusammenkrümmte. Sie hatte seine Pein kurzfristig etwas lindern können, aber sie gab sich keinen Illusionen hin. Valentin trug etwas potentiell Tödliches in sich und sie hatte keine Ahnung, wie sie diesem neuen Feind entgegentreten konnte.
Seit sie Hamburg verlassen hatten, spürte sie einen festen Druck um den Brustkorb, als hätten sich eiserne Fesseln um sie gelegt und versuchten jetzt, ihr die Luft abzudrücken. Die Angst war ganz plötzlich da, als sie begriffen hatte, dass Valentin an der Grenze seiner Belastbarkeit stand. Ohne ihn wäre alles verloren. Die Welt. Aber auch sie.
Ihn auf diesem Parkplatz wieder loszulassen, sich ganz pragmatisch den notwendigen Dingen zuzuwenden, nämlich schnellstmöglich zu diesem Ort in den Taunus zu gelangen, hatte sie mehr Kraft gekostet, als sie sich eingestehen wollte. Mit dieser Brandung gegenseitiger Anziehungskraft hatte sie nicht gerechnet. Die Woge hatte sie fast mit sich gerissen und nur mit großer Mühe hatte sie sich von dem, was sie gesehen hatte, losreißen können.
Sie hatte unter seine jahrhundertealte Maske geschaut und seinen Kern erkannt. Was sie gesehen hatte, brachte ihr Herz aus dem Rhythmus. Verdammt, dieser Mann fühlte sich so richtig an. Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Das waren Märchen, die mit der Realität wenig zu tun hatten. Vielleicht fand man sich nett, attraktiv, aber dann folgte eine Phase des Kennenlernens mit der Chance, wohl auch so etwas wie Liebe für den anderen aufzubauen. Nun, sie musste über ihr bisheriges Modell sich Liebe zu erklären nachdenken. Um Gotteswillen nicht jetzt, aber irgendwann in Zukunft. Wenn es die denn gab.
In ihr brannte plötzlich eine unbekannte Angst. Die Angst, ihn zu verlieren. Angst, etwas zu verlieren, hatte man doch nur, wenn es wichtig war. So wie dieses Gefühl in ihr wütete, war er zur Zeit das Wichtigste in ihrem Leben. Er berührte sie auf unbekannte Weise.
Sie warf ihm erneut einen Seitenblick zu. Er hatte die Augen leicht zusammengekniffen. Sein Kiefermuskel war angespannt. Er biss die Zähne zusammen. Sie hätte am liebsten eine Hand ausgestreckt und wäre sanft über seine Wangenpartie gefahren. Doch war sie sich sicher, ihn dann nicht mehr loszulassen. Sie musste einen nüchternen Kopf bewahren. Dies war nicht der Moment, sich irgendwelchen sentimentalen Gefühlen hinzugeben.
Die Navigation lotste sie wenig später von der Autobahn. Sie folgte der kurvigen Landstraße und durchquerte urtümlich schöne Wälder. Das Land hinter den
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