Drachenei
Sobald der Gottesdienst vorüber war, machte er die Heiligen, die die Wünsche des Glänzenden auslegten, darauf aufmerksam.
Das setzte die Heiligen in Verwirrung, aber sie ließen sich nichts anmerken. Sie waren Meister ihres Fachs und hatten gelernt, wenig zu sagen und noch weniger zu tun, bis sie sich ganz sicher waren.
» Ja – wir haben mit so etwas gerechnet –, aber lass uns abwarten. Wir werden das Phänomen weiter studieren«, versicherten sie dem aufgeregten Entdecker.
Und sie studierten es. Es war immer noch ein Pünktchen am Himmel, nicht viel anders als alle anderen Pünktchen, aber bald war es heller als diese. Glücklicherweise kam es längst nicht an die Leuchtkraft des Glänzenden heran, denn es wäre schwierig gewesen, Leuten, die im Glauben an den Einzigen, den Allmächtigen Gott – den Glänzenden – erzogen waren, die Existenz von zwei Göttern zu erklären.
Der neue Fleck wurde mit jeder Umdrehung heller. Das bemerkten auch die gewöhnlichen Cheela, aber nur den Heiligen fiel auf, dass der Fleck sich auch in Bezug auf die anderen Sterne am Himmel langsam bewegte. Ein sich bewegender Stern! In der Astrologie der Cheela war das etwas Unerhörtes. Die Lichtmuster, beherrscht von der gleißenden rotgelben Gegenwart des Glänzenden, hatten relativ zueinander immer feste Positionen gehabt, während sie langsam um den Thron des Glänzenden am Himmel rotierten.
» Wenn die Sterne nicht feststehen, sondern herumwandern, wie kann man dann noch Vorhersagen nach ihnen treffen? Die Zukunft würde sich andauernd ändern«, beklagte sich Zweiter des Glänzenden, der Chefastrologe und nächste Anwärter für das Amt des Hohepriesters.
» Ich bin überzeugt, der Glänzende hat einen Grund für diese Änderung am Himmel«, antwortete Erste des Glänzenden. » Unsere Aufgabe ist es, unsere Intelligenz im Dienst des Glänzenden zu nutzen und die Bedeutung auszulegen.«
Die Hohepriesterin richtete ihre Augen auf die junge Novizin Himmelssucherin.
» Bist du dir über die Bewegung ganz sicher?«, fragte sie.
» Ja, Erste des Glänzenden«, antwortete Himmelssucherin. » Bei meiner Ausbildung in der Astrologie habe ich gelernt, die Winkel zwischen den Sternenpunkten mit den Astrologenstäben zu messen, und ich weiß beinahe alle Zahlentabellen auswendig. Ich versuchte, meinem Gedächtnis auch die Zahlen des neuen Sterns einzuprägen, aber da ich erst eine Novizin bin, waren sie ungenau. Der Fehler, der mir unterlaufen war, fiel mir viele Umdrehungen später auf, als ich ein Schicksal vorhersagen wollte. Da griff ich noch einmal nach den Astrologenstäben, um die Messungen genau zu machen, und stellte fest, dass einige der Zahlen, die ich auswendig gelernt hatte, mit den neuen für diesen Stern nicht in Einklang zu bringen waren.«
» Unglücklicherweise hat sie recht«, fiel der Chefastrologe ein. » Anfangs glaubte ich, ihr Gedächtnis sei nicht zuverlässig, oder es habe jemand mit den Astrologenstäben herumgepfuscht. Dann verglich ich jedoch die Zahlen mit den alten, die ich mir an jener schicksalhaften Umdrehung, als der Stern am Himmel aufblühte, eingeprägt hatte, und stellte fest, dass meine alten Zahlen noch weiter abwichen als die der Novizin. Und doch hatte keiner der anderen Sterne am Himmel seine Zahlen im Geringsten geändert.«
» Ein sich bewegender Stern …«, murmelte die Hohepriesterin. » Einer, der sich bewegt. Es kann nicht anders sein, als dass der Glänzende uns einen Boten gesandt hat! Vielleicht will der Glänzende jetzt direkt mit uns sprechen.«
Die Religion der Cheela wurde daraufhin erweitert, um das Phänomen eines Sterns zu erklären, der nicht nur heller und immer heller wurde, bis er an das Leuchten des Gottes selbst herankam, sondern der auch majestätisch über den Himmel zog. Es gab einige Bestürzung, als der Bote des Glänzenden das Perihel erreichte und sein Glanz zu verblassen begann. Alle Cheela konnten jedoch mit Erleichterung feststellen, dass er nach ein paar großen Umdrehungen auf seiner Bahn am Himmel zurückkam.
Der neue Stern veranlasste den kleinen Kreis von Novizen, untereinander zu diskutieren. Ursprünglich waren sie wegen ihres Interesses an Zahlen und ihres eidetischen Gedächtnisses – beides notwendige Dinge für einen Astrologen in einer Zivilisation ohne Schrift – ausgewählt worden, aber nun machten sie sich Gedanken über die seltsamen Bewegungen des Boten.
» Eine Kreisbahn käme mir logischer vor«, meinte einer der Novizen. » Wir
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