Drachenelfen
Kenkari
hatten große Macht, aber selbst sie konnten nicht wagen, ihren Kaiser
öffentlich des Mordes an Mitgliedern seiner eigenen Familie zu beschuldigen.
Ohnehin hatten sie damit gerechnet, Agah’ran würde Truppen gegen sie entsenden,
und waren sehr überrascht (ganz zu schweigen von ihrer Erleichterung), als
nichts dergleichen geschah.
Aber zum Mißvergnügen von Bruder Pforte riß der
Strom der Weesham nicht ab. Manche wußten von nichts. Andere, obwohl sie gehört
hatten, daß die Kathedrale geschlossen wäre, wollten sich nicht abweisen
lassen.
»Aber das gilt doch nicht für mich«, sagten sie.
»Für die anderen vielleicht, aber die Seele, die ich bringe, ist die Seele
eines Prinzen…« Oder einer Gräfin oder eines Marquis oder eines Herzogs.
Es half nichts. Alle mußten umkehren.
Die Weesham gingen, verwirrt, ratlos, die kleine
Schatulle mit zitternden Händen an die Brust gedrückt.
»Es tut mir im Herzen weh«, sagte Bruder Pforte
zu Schwester Buch. Sie hatten sich in der Kapelle getroffen. »Die Weesham
sehen so verloren aus. ›Wohin soll ich gehen?‹ fragen sie mich. ›Was soll ich
tun?‹ Ihr Dienst war ihr ganzer Lebensinhalt. Was soll ich ihnen antworten,
außer: ›Geht nach Hause. Wartet.‹ Wartet auf was?«
»Das Zeichen«, antwortete Schwester Buch zuversichtlich.
»Es wird kommen, glaub es mir. Du mußt Vertrauen haben.«
»Leicht gesagt«, entgegnete Bruder Pforte
verbittert. »Du brauchst sie nicht abzuweisen. Du siehst ihre Gesichter
nicht.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.« Schwester Pforte
legte ihre Hand auf die ihres Konfraters.
»Aber die Nachricht hat die Runde gemacht. Seit
zwei Zyklen ist kein Weesham mehr gekommen. Du wirst nicht mehr behelligt
werden.«
»Nicht von ihnen.« Seine Stimme klang dumpf.
»Du fürchtest immer noch, wir könnten
angegriffen werden?«
»Fast wünschte ich mir’s. Dann wüßten wir zumindest,
woran wir sind. Der Kaiser hat uns weder öffentlich angeklagt noch uns
befehlen wollen, die Maßnahme rückgängig zu machen. Er hat keine Truppen entsandt.«
»Sie würden nicht gegen uns ziehen. Nicht gegen
uns.«
»Früher hätte ich dir zugestimmt. Aber es hat
sich vieles verändert. Ich frage mich…«
Ein Gongschlag tönte durch die Kathedrale. Beide
hoben den Blick, ein sonorer Nachhall durchzitterte die stille Luft der
Kapelle. Der Adlatus von Bruder Pforte, der in dessen Abwesenheit den Dienst am
Tor versah, rief seinen Meister.
Bruder Pforte seufzte. »Ah, ich bin voreilig
gewesen. Wieder einer.«
Schwester Buch betrachtete ihn mit stummer Sympathie.
Der Hüter der Pforte erhob sich, verließ das Aviarium und beeilte sich, auf
seinen Posten zurückzukehren. Unterwegs spähte er unglücklich durch die Mauern
aus Kristall, in der Erwartung wieder eines Unbelehrbaren, wieder einer
langwierigen Debatte. Was er jedoch sah, ließ ihn verblüfft stehenbleiben. Er
schaute ein zweites Mal hin, dann eilte er weiter und wäre fast mit den weichen
Pantoffeln auf dem spiegelglatten Boden ausgerutscht.
Sein Adlatus war außerordentlich dankbar, ihn zu
sehen.
»Ich bin froh, daß Ihr kommt, Meister. Ich
fürchtete. Ihr wärt beim Gebet.«
»Nein, nein.« Der Hüter der Pforte trat an das
goldene Gitter, das den Eingang versperrte, und schaute hindurch.
Er hatte gehofft, nicht recht gesehen zu haben,
vom Lichteinfall getäuscht worden zu sein, und da wären keine zwei Menschen in
schwarzer Kutte, die den großen freien Platz vor der Kathedrale überquerten.
Aber sie hatten sich inzwischen so weit genähert, daß kein Irrtum möglich war.
Er runzelte die Stirn. »Kirmönche, ausgerechnet.
In einer Zeit wie dieser.«
»Ich weiß«, murmelte sein Adlatus. »Was tun
wir?«
»Sie einlassen, natürlich.« Bruder Pforte
seufzte. »Wie es Tradition ist. Sie haben einen weiten und womöglich nicht
ungefährlichen Weg hinter sich. Sie konnten ja nicht ahnen, wie schlecht die
Dinge stehen. Vorläufig schützt sie das heilige Gesetz, aber wie lange noch?
Zieh das Gitter hoch. Ich werde mit ihnen reden.«
Der Adlatus beeilte sich zu gehorchen. Bruder
Pforte wartete, bis die Kir – sie gingen langsam, vom anstrengenden Marsch
ermüdet – am Fuß der Treppe angelangt waren. Beide hatten die Kapuze tief ins
Gesicht gezogen.
Das Gitter hob sich geräuschlos, der Hüter der
Pforte öffnete die Türflügel aus Kristall. Die Mönche waren stehengeblieben,
als das Gitter emporglitt. Mit gesenktem Kopf
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