Drachenelfen
sehr euch als vielmehr uns,
ihr eigenes Volk. Mit wem ihr sprecht, wo ihr verweilt.«
»Ich hoffe, du bekommst keine Schwierigkeiten.«
»Wer bin ich schon?« Der Elf zuckte mit den
Schultern. »Niemand. Ich gebe mir große Mühe, ein Niemand zu sein. Wäre ich
jemand – reich, mächtig –, dann könntet ihr mich in Schwierigkeiten bringen.«
Hugh und Iridal wandten sich zum Gehen.
»Hier, nimm.« Der Elf reichte Iridal einen
Becher Wasser. Sie nahm ihn dankbar an. »Du siehst aus, als hättest du’s nötig.
Und du bist sicher, daß ich sonst nichts für dich tun kann, Bruder? Gift? Ich
habe einen kleinen Vorrat an ausgezeichnetem Schlangenvenenum. Bestens
geeignet, um einem Dolch etwas zusätzlichen Biß zu geben…«
»Danke, nein.«
»Auch gut.« Der Elf stieß die Tür auf und zog
ein finsteres Gesicht. »Laßt euch ja nicht wieder blicken, ihr übelriechenden
Kreaturen. Und sagt den Kenkari, sie schulden mir einen Segen!«
Er schob Hugh und Iridal grob über die Schwelle
und schlug die Tür hinter ihnen zu. Sie standen auf der Straße und sahen –
davon war Iridal überzeugt – genauso verloren und müde und niedergeschlagen
aus, wie sie sich fühlte.
»Wir haben uns offenbar verlaufen«, sagte Hugh in
der Elfensprache – für die Ohren der Unsichtbaren bestimmt, vermutete Iridal.
Dann war es also die Leibgarde des Kaisers, die
ihnen folgte. Sie schaute sich unauffällig um, konnte aber nichts Auffälliges
entdecken. Woran hatte Hugh gemerkt, daß man sie bespitzelte?
»Wir müssen den Weg zurückgehen, auf dem wir gekommen
sind, wenigstens ein Stück«, hatte er inzwischen erklärt.
Iridal akzeptierte seinen stützenden Arm und
dachte resigniert an den langen Weg, der noch vor ihnen lag. »Ich hatte keine
Ahnung, daß Eure Arbeit so anstrengend ist«, bemerkte sie halblaut.
Er blickte auf sie hinunter, mit einem Lächeln –
ein seltener Gast auf seinem Gesicht. »Es ist noch ziemlich weit bis in die
Berge, fürchte ich. Und wir können nicht wagen, noch irgendwo Halt zu machen.«
»Ja, ich verstehe.«
»Ihr vermißt bestimmt Eure Magie«, sagte er und
drückte ihre Hand.
»Und Ihr bestimmt Eure Pfeife.« Sie erwiderte
den Druck. Ein Stück gingen sie in freundschaftlichem Schweigen.
»Ihr habt nach diesem Laden gesucht, nicht
wahr?« fragte Iridal nach einiger Zeit.
»Nicht genau nach diesem«, antwortete Hugh. »Nur
mit einem bestimmten Zeichen im Fenster.«
Iridal konnte sich auf Anhieb nicht an ein
Zeichen erinnern, der Laden war so klein und schäbig gewesen. Dann fiel ihr
ein, daß tatsächlich ein Stück Papier in der unteren Fensterecke geklebt hatte,
mit einer Zeichnung darauf, einer Hand.
Die Bruderschaft warb öffentlich in den Straßen,
wie’s schien. Elfen und Menschen – Feinde, Todfeinde von altere her, dennoch
setzten sie ihr Leben aufs Spiel, um einander zu helfen, eine Wahlverwandtschaft
des Todes. Verbrecherisch, böse, aber war es nicht doch ein Hoffnungsschimmer
für die Zukunft? Ein Beweis, daß die zwei Rassen nicht zwangsläufig Feinde
waren, wie Fanatiker auf beiden Seiten behaupteten?
Wir haben es in der Hand, einen Friedensschluß
möglich zu machen, dachte Iridal. Unser Vorhaben muß gelingen. Doch
hier im fremden Land, inmitten einer fremden Kultur, wollte sie fast verzagen.
»Hugh? Ich weiß, ich sollte keine Fragen
stellen, aber was der Elf gesagt hat, stimmt. Die Kenkari werden merken,
daß wir Hochstapler sind. Trotzdem redet Ihr, als hättet Ihr tatsächlich vor,
zu ihnen zu gehen. Ich verstehe das nicht. Was wollt Ihr ihnen sagen? Wie könnt
Ihr hoffen…«
»Ihr habt recht, Teuerste«, schnitt Hugh ihr das
Wort ab. Sein Lächeln verschwand wie weggewischt, sein Ton war streng. »Ihr
sollt keine Fragen stellen. Hier, das ist die richtige Straße.«
Sie fanden sich auf einer breiten Chaussee
wieder, gezeichnet mit dem Wappen des Königs von Paxaria. Wieder tauchten sie
ein in die Menge, tauchten wieder ein in Schweigen.
Und stumm gingen sie weiter.
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Kapitel 21
Kathedrale d’Albedo,
Aristagon,
Mittelreich
Der Hüter der Pforte der Kathedrale d’Albedo
hatte eine neue Aufgabe. Während er einst darauf wartete, daß die Weesham kamen
und ihm die Seelen der ihnen Anbefohlenen aushändigten, damit er sie im
Aviarium freiließ, war es neuerdings seine Pflicht, sie abzuweisen.
Die Nachricht von der Schließung der Kathedrale
hatte sich in Windeseile verbreitet, nur den Grund wußte niemand. Die
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