Drachenelfen
d’Albedo,
Aristagon,
Mittelreich
»Er ist wahnsinnig«, meinte Schwester Buch, die
als erste die Sprache wiederfand.
»Das glaube ich nicht.« Der Hüter der Seelen
betrachtete Hugh mit nachdenklicher Faszination. »Ihr seid nicht wahnsinnig,
Hugh, habe ich recht?«
»Nein«, antwortete Hugh knapp. Jetzt, da alles
entschieden war – und er hatte nicht geahnt, daß es ihm so schwerfallen würde
–, fühlte er sich wie erlöst und konnte sogar die Verwirrung der Elfen mit
sardonischer Belustigung betrachten. Nur Iridal in die Augen zu sehen, hätte
er nicht ertragen können, deshalb war er froh über seine Blindheit.
Sie schwieg; vielleicht war es ja wieder eins
von seinen raffinierten Manövern.
Kein Manöver. Er meinte es ernst – todernst.
»Ihr seid bei Kirmönchen aufgewachsen. Dann wißt
Ihr einiges von unseren Bräuchen.«
»Sehr viel sogar. Es gehört zu meinem Beruf,
Dinge zu wissen.«
»Ja«, murmelte Bruder Seele. »Da habe ich keine
Zweifel. Dann wißt Ihr auch, daß Seelen von Menschen hier keine Aufnahme
finden; daß wir vor allen Dingen Seelen, gleich von wem, nicht kaufen. Die
Seelen in unserem Aviarium werden uns aus freiem Willen zugeeignet…«
Seine Stimme schwankte etwas bei den letzten Worten.
Hugh schüttelte nur ironisch lächelnd den Kopf.
Der Hüter schwieg eine Weile, dann meinte er:
»Ihr seid gut unterrichtet, Hugh Mordhand.« Wieder Schweigen, bis er fortfuhr:
»Ihr habt eine lange und gefahrvolle Reise unternommen, um uns ein Angebot zu
machen, von dem Ihr wußtet, daß wir es ablehnen würden…«
»Ihr werdet es nicht ablehnen«, sagte Hugh. »Ihr
habt selbst gesagt, etwas an mir ist anders.«
»Ich kann es fühlen.« Der Hüter nickte. »Aber
ich verstehe nicht. Was ist Besonderes ausgerechnet an Eurer Seele, das sie für
uns wertvoll macht? Das uns sogar erlauben würde, sie ins Aviarium
aufzunehmen?«
»Weil meine Seele, welchen Wert sie auch haben
mag« – Hugh verzog ironisch den Mund – »im Jenseits gewesen und wiedergekehrt
ist.«
»Hugh l« Iridal stöhnte auf, als sie plötzlich
begriff, dies war kein listiger Plan. »Das könnt Ihr nicht ernst meinen! Tut es
nicht!«
Hugh schenkte ihr keine Beachtung.
»Wollt Ihr behaupten«, die Stimme des Hüters
klang erstickt, als hätte er Mühe zu atmen, »daß Ihr gestorben seid und –
und…«
»Und auferstanden«, sagte Hugh.
Mit Erstaunen hatte er gerechnet, mit Unglauben,
aber es schien, als wäre der Blitz zwischen den Elfen eingeschlagen. Er konnte
die Elektrizität förmlich knistern hören.
»Das ist also, was ich in Eurem Gesicht lese«,
sagte Bruder Seele.
»Der Mann, der tot ist und doch nicht tot«,
sagte Bruder Pforte.
»Das Zeichen«, sagte Schwester Buch.
Vor einem Moment noch war Hugh Herr der
Situation gewesen, jetzt plötzlich fühlte er sich hilflos, wie der Kapitän
eines Drachenschiffs, das in den Mahlstrom geraten ist.
»Was hat das zu bedeuten? Wovon redet Ihr?« Er
tat unwillkürlich einen Schritt nach vorn und stolperte über einen Stuhl.
»Hugh, nicht! Was soll das alles?« Iridal
streckte blind die Hände nach ihm aus. Verzweifelt wandte sie sich an die
Elfen. »Erklärt es mir. Ich weiß gar nichts mehr!«
»Ich denke, wir können die Blindheit von ihnen
nehmen«, meinte der Hüter der Seelen.
»Das wäre noch nie dagewesen!« protestierte
Schwester Buch.
»Dies alles ist nie dagewesen«, entgegnete
Bruder Seele ernst.
Er griff nach Hughs Händen und hielt sie mit
erstaunlicher Kraft fest, während er die andere Hand über die Augen des
Assassinen legte.
Hugh blinzelte, schaute sich um. Der Hüter der
Pforte gab Iridal auf die gleiche Weise ihr Augenlicht wieder. Beide hatten
bisher noch nie einen Kenkari zu Gesicht bekommen und staunten über deren
Erscheinung.
Die Kenkari überragten Hugh Mordhand um mehr als
einen Kopf, dabei galt der Assassine bei den Menschen als hochgewachsen. Aber
die Elfen waren gleichzeitig so dünn, daß sie selbst nebeneinander stehend Hugh
nicht verdecken konnten. Ihr Haar – weiß von Geburt – war lang, denn es wird
nie geschnitten.
Männer und Frauen der Kenkari sind kaum zu unterscheiden,
besonders weil die weiten formlosen Schmetterlingsgewänder die weiblichen
Formen verbergen. Das einzige Merkmal für den Außenstehenden ist die Art, wie
das Haar getragen wird: die Männer in einem langen Zopf auf dem Rücken; bei
den Frauen als geflochtene Krone auf dem Kopf festgesteckt. Ihre
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