Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
höher und sah ihn forschend an. Gleichzeitig verweigerte sie sich jeder neuen Hoffnung. Niemand konnte sie retten. Eines war allerdings seltsam. »Woher wusstest du, dass ich schon morgen hingerichtet werde?«
»Ich wusste es nicht. Ich schätze, wir beide haben Glück gehabt.« Er lächelte, doch seine Augen wirkten traurig. »Es war uns eben einfach bestimmt, zur rechten Zeit zueinanderzufinden. Eigentlich wäre ich erst zur Kirschblüte gekommen. Ich habe das Ende des Winters in einer Hütte drei Tagesmärsche von hier verbracht. Als das Wetter besser wurde, dachte ich, es sei eine gute Idee, schon einmal den Weg hinauf zum Kloster zu erkunden. Als ich das verborgene Tal fand, sah ich, dass hinter den Gärten ein Scheiterhaufen errichtet wurde. Viele Wochen zu früh. Da wusste ich, dass es mein Schicksal war, zu Euch zu finden, Prinzessin Shaya.«
Wieder spürte sie diesen süßen Schmerz in der Brust wie in der Stunde, als Kara ihr offenbart hatte, dass sie früher sterben würde. Was war es? Verletzte Hoffnung? Verzweifelte Liebe? »Ich kann nicht mit dir gehen.« Jetzt fiel es ihr schon schwerer, standhaft zu bleiben, obwohl sie ganz genau wusste, welches Unglück aus ihrer Flucht erwachsen würde.
»Seht Euch bitte das hier einmal an.« Er strich sein Haar zurück, sodass ein seltsam deformiertes Ohr zum Vorschein kam. Es war zu lang, zu schmal und lief spitz aus wie ein Tierohr. »Ich bin das, was ihr Menschenkinder einen Daimon nennt. Wir selbst bezeichnen uns als Elfen.«
Shaya atmete scharf ein. Für dieses Ohr mochte es viele Erklärungen geben. Sie dachte an die Daimonen, gegen die sie einst in den Wäldern Nangogs gekämpft hatte. Ein bisschen sah er ihnen schon ähnlich, ohne Bart und so schlank. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Seine Behauptungen waren absurd! »Aaron würde niemals einen Daimon schicken, um mich zu retten.«
»Das stimmt, meine Dame. Ich habe ihm viele Jahre treu gedient, und doch hat er nie erfahren, wer ich wirklich bin. Ich war sein Hofmeister Datames.«
Das wurde ja immer verrückter! Sie glaubte ihm kein Wort. Diese Geschichte ergab keinerlei Sinn. Die Daimonen waren Feinde der Menschen, der Hofmeister Datames aber hatte Aaron gute Dienste geleistet.
»Ich sehe schon, ich muss überzeugendere Argumente ins Feld führen, meine Dame. Bitte achtet auf meine Nase. Sie erschien mir immer schon ein wenig zu spitz und zu lang.« Er hob die Hände vor sein Gesicht, murmelte etwas, das Shaya nicht verstand, und schien dabei seine Nase zu massieren. Als er die Hände wieder senkte, glaubte sie ihm. Seine Nase war nun kleiner und gedrungener, fast wie ihre eigene Nase.
»Das ist …« Sie streckte die Hand vor und wagte dann doch nicht, ihn zu berühren.
»Das ist die Lösung aller Probleme, Prinzessin, denn heute wird sich die, die ihr seid, einfach in Luft auflösen. Prinzessin Shaya wird für immer aus dieser Welt verschwinden.«
»Du wirst mein Gesicht verändern?« Misstrauisch sah sie den Daimon an. Hatte ihn vielleicht Išta geschickt? War dies eine Falle? Aber welche Falle machte am Abend vor ihrem Tod noch einen Sinn?
»Ihr könnt mir vertrauen, Prinzessin.«
Seine Stimme klang so warm und freundlich, dass sie geneigt war zuzusagen. Doch gehörte das nicht auch zu den Ränkespielen der Daimonen? Sie waren Meister der Intrige. Und sie gaben nichts, ohne einen dunklen Preis zu fordern. »Was verlangst du von mir, wenn du mein Gesicht veränderst und mich rettest? Muss ich dir dafür meine Seele verpfänden?«
Einige Herzschläge lang sah er sie fassungslos an. Dann begann er plötzlich, leise zu lachen. »Ja, ich kenne die Geschichten, die ihr Menschenkinder über uns erzählt. Sehe ich wirklich aus wie ein Abgesandter der Mächte der Finsternis?«
Shaya musterte ihn mit ausdrucksloser Miene. Natürlich sah er nicht so aus … Aber war er nicht gerade deshalb verdächtig? Daimonen waren die großen Täuscher. Sie waren nie das, was sie vorgaben zu sein. Er wirkte harmlos und freundlich. Nein … Ihr Blick wanderte zu seinem Schwert. Ganz harmlos sah er nicht aus.
»Ihr müsst Euch entscheiden, Prinzessin Shaya. Was habt Ihr zu verlieren? Bleibt Ihr, werdet Ihr sterben. Kommt Ihr mit mir, werdet Ihr ein neues Leben beginnen.« Er lächelte erneut. »Und ich verspreche Euch noch einmal, ich werde nicht Eure Seele rauben.«
Sollte sie ihn verärgert haben, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Seit fast einem Jahr hatten Götter und Unsterbliche
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