Drachenelfen
erlösen. Du wirst dich auf dein Zimmer begeben, ein wenig essen und dann ruhen. Zur Mittagsstunde erwarte ich dich. Du schuldest mir einen Schwertkampf.«
Wieder drückte Ailyn nur mit einem einzigen Finger zu. Es war, als sei ein Zauberbann von Nandalee genommen. Sie richtete sich auf. Sie war gröÃer als Ailyn. Die Drachenelfe hätte eine Schwester Bidayns sein können, feingliedrig und zierlich, wie sie war, und mit ihrem langen, schwarzen Haar. Nur hielt sie sich viel gerader als ihre Freundin. Und ihr Antlitz war hart, wie aus Stein geschlagen. Es gab keine weichen Rundungen. Nur gerade Linien und Winkel regierten dieses Gesicht. Die Fähigkeit zu Gefühlsregungen schien das Leben aus diesen Zügen herausgemeiÃelt zu haben.
Auch Nandalee versuchte, aufrecht zu stehen. »Wir sehen uns zur Mittagsstunde«, sagte sie. Die Erschöpfung zu verbergen gelang ihr nicht.
Ailyn trat zur Seite. Auf dem ganzen Weg zu ihrer Kammer hielt sich Nandalee so steif, als habe sie einen Stock verschluckt. Erst als sie die Zimmertür hinter sich schloss, erlaubte sie sich einen erschöpften Seufzer. Auf dem Tisch stand ein Brett mit Brot, Käse und Trauben. Daneben ein Krug mit Wasser. Gab es hier nichts anderes zu essen? Egal! Sie würde ohnehin nichts herunterbekommen. Die Augen auf das mittlere der drei Fenster geheftet, lieà sie sich auf ihr Bett fallen und beobachtete, wie die Sonne den Himmel hinanstieg.
Als die Sonne nicht mehr weit vom Zenit stand, erhob sie sich. Sie trank einen Schluck Wasser und aà einige Trauben. Dann streckte sie ihre Glieder. Die dumpfe Müdigkeit hatte sie nicht ablegen können. Aber sie war entschlossen, sie zu verbergen. Kaum dass sie durch die Tür trat, drückte sie ihren Rücken durch und achtete darauf, dass ihr Gang kraftvoll und beschwingt wirkte.
Ailyn wartete vor dem Haus. Die Terrasse unter den Steinbögen war mit Schülern besetzt. Es waren nicht sehr viele. Nicht einmal zwei Dutzend. Keiner von ihnen trug eine Waffe, einen Helm oder irgendein Rüstungsteil. Ein unbefangener Beobachter wäre wohl nie auf die Idee gekommen, dass dieses weitläufige Landgut dazu bestimmt war, in der Kunst des Tötens unterwiesen zu werden.
Ailyn stand ein wenig abseits des Weges. Bidayn war bei ihr. Nandalee seufzte. Wahrscheinlich hatte ihre Freundin um Gnade für sie gebettelt. Wann würde Bidayn lernen, dass sie sich selbst für ihre Belange einsetzte?
Ailyn begrüÃte sie mit einem knappen Kopfnicken. »Hast du schon einmal mit einem Schwert gekämpft?«
»Nein.« Für eine Jägerin war ein Schwert unnötiger Ballast. Sie hatte nie eines gebraucht. Nur wenige Normirga besaÃen Schwerter. In Kriegen mochten sie nützlich sein. Aber einen Bogen fand
sie weit nützlicher. Und sollte ein Feind nahe an einen herankommen, hatte jeder Jäger stets einen Hirschfänger bei sich. Als Nandalee näher kam, bemerkte sie, dass der Rasen dort, wo Ailyn stand, mit Wasser durchtränkt war, obwohl es den ganzen Tag über nicht geregnet hatte.
»In wirklichen Kämpfen kann man sich den Boden, auf dem um Leben und Tod gefochten wird, oft auch nicht aussuchen«, erklärte die Elfe, als könne sie, im Gegensatz zu den Drachen, ihre Gedanken lesen. »Wir nehmen unsere Schüler hier stets hart heran. Wenn der Tag deines ersten richtigen Kampfes kommt, wirst du uns dafür dankbar sein.«
»Der Tag meines ersten Kampfes liegt bereits weit zurück. Ich habe bereits gegen Trolle gekämpft«, sagte Nandalee stolz und so laut, dass alle es hören konnten.
»Natürlich, mit einem Bogen. Wenn man nah dran ist, ist es etwas anderes«, rief einer der Schüler â ein Kerl mit hellblondem Haar und edlen Zügen, der sie erschreckend an Sayn erinnerte. Sie entschied, sich nicht zu ärgern. So etwas wie in der Drachenhöhle durfte nie wieder geschehen. »Ich war so nah dran, dass ich ihren stinkenden Atem ins Gesicht geblasen bekommen habe«, sagte sie ruhig. »Ist irgendjemand anders hier, der Trollen schon so nahe war?«
Ailyn lieà sich zu einem schmallippigen Lächeln herab. »Darf man daraus schlieÃen, dass du eine schlechte Bogenschützin bist?«
»Nein, ich habe mich lediglich mit mehr Trollen angelegt, als ich Pfeile hatte.«
Die Drachenelfe winkte einem der Schüler. Er brachte zwei etwa armlange Stöcke aus rotbraunem Holz. Das Holz wies
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