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Drachenelfen

Drachenelfen

Titel: Drachenelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Prüfungen erwarteten, die etliche der auserwählten jungen Elfen nicht überlebten. Bis heute Morgen war sie überzeugt gewesen, dass sie zu jenen gehören würde, die scheiterten. Dass sie nicht stark genug sein würde. Sie war keine Kriegerin wie Nandalee, sie war eine Zauberweberin. Sie vermochte nicht einzusehen, warum sie laufen sollte wie ein Wolf und warum sie lernen musste, mit einem Schwert umzugehen. Sie sollte ihre Studien der Magie vertiefen. Wenn überhaupt, dann war das ihre Waffe. Am liebsten aber wäre ihr, niemals jemanden umzubringen. Das war sie nicht … Und sie bezweifelte, dass sie jemals dazu fähig sein würde, ganz gleich, was man ihr hier beibrachte.
    Allerdings würde sie stärker werden. Das mochte ja nützlich sein. Und sei es, dass sie daraus lernte, mit mehr Entschlossenheit ihren Willen durchzusetzen.
    Â»Hast du etwas dagegen, wenn ich bei deiner ersten Lektion im Schwertkampf anwesend bin?«
    Die Stimme war freundlich und unaufdringlich, aber Bidayns gute Laune war verflogen. Sie erhob sich von ihrem Tisch. Jetzt wurde sie wieder angestarrt. Sie hatten zu sechst am Tisch gesessen. Und Nandalee, die ihr so oft ein Anker war, war natürlich nicht hier. Man hatte sie beide getrennt. Freundschaften schien
man hier in der Weißen Halle als eine Belastung zu empfinden. Manchmal hatte Bidayn das Gefühl, dass eines der Ziele ihrer Lehrer darin bestand, aus ihnen allen Einzelgänger zu machen. Nandalee kam damit hervorragend zurecht. Sie nicht.
    Â»Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn du mich zum Übungsplatz begleitest«, sagte sie, unfähig eine Stimmlage zu finden, die ihre wahren Gefühle verborgen hätte.
    Lyvianne, ihre Lehrerin, war ihr erst vorgestern zugeteilt worden. Anders als bei Nandalee, die Gonvalon schon vom ersten Tag an als persönlichen Lehrer zur Seite gestellt bekommen hatte. Aber auf Nandalee musste man auch besser aufpassen. Bidayn dachte daran, wie ihre Freundin gleich zur Ankunft verprügelt worden war. Nun musste sie zu Ailyn. Ob sie wohl noch alle Zähne haben würde, wenn die Schwertmeisterin mit ihr fertig war? Bestimmt wusste Ailyn, dass Nandalee ihre beste Freundin war. Ihre einzige.
    Bidayn blickte auf den Rücken ihrer Lehrerin. Sie ging drei Schritt vor ihr und sie ging barfuß. Bei dem Anblick fröstelte es Bidayn. Ob Lyvianne auch so eine Barbarin aus Carandamon gewesen war, bevor sie hierher, in die Weiße Halle, kam? Lyvianne war schlank, ohne hager zu sein, und strahlte eine Sinnlichkeit aus, um die Bidayn sie sofort beneidet hatte. Und eine unnahbare Überlegenheit. Wie alle Lehrer trug sie Weiß. Die goldenen Stickereien an Kragen und Säumen wiesen sie als eine Drachenelfe aus. Das Gold war allein ihnen vorbehalten. Manche, so wie Ailyn, verzichteten darauf, es zu tragen. Aber Lyvianne war keine Elfe, die auf irgendetwas verzichtete, was sie errungen hatte. Das war zumindest Bidayns Eindruck.
    Jede Bewegung Lyviannes war vollkommen. Sie ging nicht, sie schritt, wenn sie den Kopf wandte, tat sie es voller Anmut, und ein Lächeln von ihr ließ Herzen schmelzen. Es machte Bidayn schon Freude, ihr einfach nur zuzusehen. Selbst Lyviannes offenes Haar war makellos. Keine einzelne Strähne hatte sich aus dem Strom von leicht bläulich schimmerndem Schwarz gelöst,
das Haar schwang in vollkommener Harmonie zum Rhythmus der Schritte.
    Lyvianne hatte ihr am Tag zuvor die Bibliothek gezeigt. Obwohl Bidayn schon zwei Wochen in der Weißen Halle weilte, hatte sie bis gestern nicht einmal davon gehört, dass es eine Bibliothek gab, und ohne Führerin hätte sie sie wohl auch nicht gefunden. Sie lag in einem abgelegenen Teil der weitläufigen Kellergewölbe. Und offensichtlich wurde sie nicht oft besucht. Das weiche, bernsteinfarbene Licht von Barinsteinen, das die Räume erhellte, war kein Ersatz für Tageslicht, fand Bidayn. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass man diesen Ort absichtlich so gestaltet hatte, dass die meisten Elfen sich dort nicht gerne aufhalten würden. Lyvianne aber hatte ihr anvertraut, dass sie oft in die Bibliothek kam.
    Schon bei der ersten Begegnung mit Lyvianne hatte Bidayn das Gefühl gehabt, dass die Lehrerin auf den Grund ihrer Seele zu blicken vermochte. Und das ganz ohne Magie! Vielleicht war Lyvianne ihr vor langer Zeit einmal ähnlich gewesen? Vielleicht war auch sie einmal ein eingeschüchtertes Mädchen gewesen, das

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