Drachenelfen
Schönheit. Ich mag dich nicht töten.
Die Kriegerin aber antwortete: Du könntest es auch nicht.
Das erzürnte den Drachen. Und es verstrich ein weiteres Jahr, in dem sie einander belauerten. Jeden Herzschlag bereit, einander anzufallen.
Diesmal war es die Kriegerin, die das Schweigen brach. Und sie fragte den Drachen, wie sein Name sei.
Die Albenkinder nennen mich den Purpurnen, antwortete er. Seinen wahren Namen aber verschwieg er, denn er wusste, ihn auszusprechen würde der Kriegerin Macht über ihn geben.
Und mich heiÃen die Menschenkinder Anatu, sagte daraufhin die Kriegerin, die ebenfalls vermied zu verraten, wie ihr wirklicher Name lautete. Du fürchtest, dass ich meinen Speer in deinen Rücken stoÃen werde, wenn du dich abwendest, deshalb werde ich es sein, die nun geht. Folge mir in meine Welt, wenn du magst. Ich glaube, viel Gutes könnte daraus erwachsen, wenn wir miteinander reden, statt uns feind zu sein. Mit diesen Worten wandte sie sich ab und binnen eines Lidschlags war sie verschwunden.
Die Kreatur aber, die der Purpurne geheiÃen wurde, hatte Gefallen an Anatu gefunden. Er wusste, dass sie keine Geringere als eine Devanthar war. So folgte er ihr. Und er war die erste Geflügelte Schlange, die je nach Daia kam. Die Menschen flohen in Angst vor dem Schatten seiner Schwingen. SchlieÃlich fand er Anatu auf dem Gipfel des Berges Luma in Luwien, in ihrem Palast aus Mondenlicht. Und Anatu empfing ihn mit einem Lächeln. Da begriff der Purpurne, dass es Liebe war und nicht Neugier, die ihn nach Daia gelockt hatte, und er sprach ein Wort der Macht und er nahm eine Gestalt an, die der der Anatu ähnlich war. Beide stiegen in den Himmel hinauf und wie die Schmetterlinge liebten sie sich im Fluge. Drei Tage und drei Nächte dauerte dies und als sie sich erschöpft von ihrer Lust niederlieÃen, da waren sie in die Wälder von Drus gelangt, nicht weit von jenem Ort, an dem viel später auch den König der Dschinne sein Schicksal ereilte. Als die Geflügelte Schlange schlief, verging der Zauber,
mit dem sie sich eine neue Gestalt gegeben hatte. Anatu aber hatte die Furcht vor der Himmelsschlange verloren. Sie blieb bei ihrem Geliebten.
Mit der Morgenglut des Ostens erschien Išta. Sie war voller Zorn, ihre Schwester an der Seite einer Himmelsschlange zu sehen. Der Angstschrei Anatus riss den Purpurnen aus dem Schlummer. Er musste mit ansehen, wie Išta ihre Schwester mit ihrem Speer durchbohrte. Schützend breitete er seine Flügel aus, und es entbrannte ein verzweifelter Kampf zwischen dem Drachen, der versuchte, Anatu zu retten, und der zornigen Išta. Seine Flammen und sein peitschender Schwanz verwüsteten den Wald von Horizont zu Horizont. Da er stets mehr auf Anatu als auf sich achtete, empfing er viele Wunden von Išta. Zuletzt durchbohrte der Speer der Geflügelten sein Herz.
IÅ¡ta nahm das Haupt des Purpurnen. Sie brachte es zum gelben Turm von Garagum. Und die Devanthar erschufen der Anatu ein Gefängnis aus dem Schädel der Himmelsschlange. Dort liegt sie noch heute, aus der Wunde in ihrer Brust blutend, gefangen im Gebein ihres Geliebten. Unfähig zu sterben, verstoÃen von ihresgleichen. Der Leib des Purpurnen aber wurde zum Gefiederten Haus gebracht, wo man ihn nutzte, um viele mächtige Zauber zu weben. Und wen die Devanthar von Zapote unter ihre auserwählten Krieger aufnehmen, dem gewähren sie, vom Fleisch des Drachen zu essen.«
Â
TEXT EINES UNBEKANNTEN AUTORS, AUS DEM TONTAFELARCHIV DES TEMPELS ZU NARI, HEUTE VERWAHRT IN DER BIBLIOTHEK VON ISKENDRIA, SAMMLUNG FÃR OBSKURE SCHRIFTEN, SAAL III, REGAL CCIX, BRETT VII.
D ER WEG ZUR VOLLKOMMENHEIT
Bidayn war gut gelaunt an diesem Morgen, denn sie hatte den Lauf dieses Mal mit etwas mehr Anstand hinter sich gebracht. Nicht gut, nein, bei Weitem nicht gut, aber wenigstens hatte sie sich zum ersten Mal nicht vor Erschöpfung übergeben. Sie hatte mit Appetit im groÃen gemeinsamen Essenssaal gefrühstückt. Die anderen schienen sie heute Morgen nicht so anzustarren, wie sie es in den ersten Tagen getan hatten. Diese Blicke zwischen Mitleid und Verachtung waren schwer zu ertragen gewesen. Die anderen Schüler hier schwiegen sie an. Doch ihre Blicke riefen ihr zu, dass sie die Jahre in der WeiÃen Halle nicht überleben würde. Man sprach nur selten darüber ⦠Aber Bidayn kannte die Geschichten darüber, dass sie hier
Weitere Kostenlose Bücher