Drachenelfen
Deck. Ihr Lärmen erinnerte an den langsamen Takt eines Totenmarsches, begleitet vom schaurigen Pfeifen des Sturms in der Takelage.
Artax kam mit einem Ruck zum Halt und fuhr augenblicklich herum zum Geschützturm. Das Seil war straff gespannt. Versuchten sie, ihn zurückzuziehen?
Der bärtige Wolkenschiffer winkte ihm zu und hieb dann mit der Handkante auf die offene Handfläche der Linken. Artax verstand nicht. Die Tür des Geschützturms stand nun sperrangelweit offen und wurde vom Sturm gegen die Wand gepresst.
»Mehr Seil!«, rief er dem Bärtigen zu. Der Wind riss ihm die Worte von den Lippen, doch der Wolkenschiffer schien zu verstehen. Etwas ging im Halbdunkel des Turmes vor sich. Endlich gab
das Seil ein wenig nach und Artax kroch ein Stück vorwärts. Ein Eisklumpen zerplatzte wenige Zoll neben seiner linken Hand auf dem Deck. Splitter spritzten ihm ins Gesicht. Er blinzelte. Juba würde sich nicht mehr lange halten können. Artax streckte sich, aber es war aussichtslos. Ihn trennte immer noch knapp ein Schritt von seinem Gefährten. Wieder stockte das Seil, und Artax fuhr erneut herum. Im Turm hatten sie einen der schweren Holzhebel, mit denen die Geschütze gespannt wurden, quer im Türrahmen verkeilt. Dort war keine Spanne Seil mehr zu gewinnen. Das war das Ende!
Verzweifelt blickte Artax zu Juba. Nur noch ein Schritt, und es wäre geschafft. Das konnte er nicht zulassen! In einer flieÃenden Bewegung griff er nach dem Knoten an seiner Hüfte. Seine Finger waren taub vor Kälte. Nur mit Mühe gelang es ihm, das Seil zu lösen und es sich um das Handgelenk zu schlingen. Das musste genügen.
Der Sturmwind schien den Atem anzuhalten und das Getöse verstummte. Artax streckte sich. Endlich! Es gelang ihm, Jubas Hand zu packen. Er zog den Feldherrn zu sich heran. Lachend und weinend zugleich fielen sie einander in die Arme.
Eine Bö fegte über sie hinweg, und das Schiff stieg senkrecht in die Höhe.
Ein Hagelkorn schlug auf Artaxâ Hand, traf mit der Wucht eines Keulenhiebs. Seine Finger öffneten sich in einem kurzen Reflex. Voller Panik versuchte er die Hand wieder zu schlieÃen, aber sie war wie taub und gehorchte seinem Willen nicht mehr. Als wollte es ihn verspotten, entwand das Seil sich in quälender Langsamkeit seiner Hand â der verfluchten Hand, die ihm nicht mehr gehorchen wollte.
So fühlt es sich an, wenn man von einem Augenblick zum anderen nicht mehr Herr seines Körpers ist.
Aber Artax achtete nicht darauf. Das Seil fiel zu Boden und schlingerte im Wind hin und her. Juba hatte noch gar nicht bemerkt, was geschehen war. Eine neuerliche Bö drückte sie auf das
Deck. Das groÃe Schiff hatte nun eine leichte Neigung nach Backbord, als sei es in der Vertäuung, die es an den Wolkensammler fesselte, ein wenig verrutscht. Es waren nur wenige Grad, aber es war genug, dass sie beide auf dem nassen Holz zu rutschen begannen. Verdammt! Artaxâ Hand war immer noch gefühllos. Hilflos glitt er über das Deck. Der Geschützturm verschwand hinter Dunstschleiern und die Welt um ihn herum schrumpfte auf fünf Schritt, begrenzt von wogenden Wolkenschleiern.
Juba hielt sich immer noch an ihn geklammert. »Wird der Devanthar uns beide retten?«, schrie er. In seiner Stimme lag Todesangst, aber Artax war nicht bereit, aufzugeben. »Wir werden uns retten«, entgegnete er trotzig.
Eine neue Bö ergriff das Schiff , das Deck neigte sich noch ein wenig mehr. Raureif und Eis überzogen die Planken. Es war unmöglich, Halt zu finden. Sie rutschten weiter. Als ritten launische Geister mit den Böen, blieb jedes der über das Deck peitschenden Seile gerade auÃerhalb ihrer Reichweite.
Das sind keine Geister, Bauer. Das ist der Devanthar. Du hättest besser im Turm bleiben sollen. Wer sein Schicksal herausfordert, findet früh den Tod.
Genau, dachte Artax. Muht die Kuh nachts im Getreide, war ein Loch im Zaun der Weide. Etwas anderes als platte Sprüche fiel ihm auch nicht ein, dem verblichenen Unsterblichen. Ein dunkler Schemen schälte sich aus dem Wolkendunst. Die Reling! Weite Löcher klafften dort, wo der zersplitterte Mast wie ein Rammbock gegen den Schiffsrumpf geschmettert war. Verzweifelt warf Artax den Kopf hin und her, während sie immer weiter rutschten. Ihre letzte Hoffnung war, eines der zerfetzten Seile aus der Takelage zu packen zu bekommen, die gewiss jenseits der
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