DRACHENERDE - Die Trilogie
schrie Bratlor seinen Gefährten an, weil dieser mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht stehen geblieben war.
„Hast du ihn nicht gesehen?“, fragte Rajin fassungslos.
„Wen?“
„Den Vermummten …“ Rajin streckte den Arm aus. „Er war dort!“
„Ich weiß nicht, was du gesehen hast, aber ich sage dir, was da schon sehr bald hinter dem schwarzen Felsen auftauchen wird: Eine Horde feuerspeiender Drachen und ihre nicht weniger blutrünstigen Reiter!“
Dann stockte auch Bratlor, denn auf einmal leuchtete das Juwel über dem Eingang zur Orakelhöhle grell auf. Gleichzeitig wurden plötzlich die Steine, die jene Linie zwischen Orakelhöhle und schwarzem Felsen bildeten, jeweils von einem bläulich schimmernden Lichtflor umgeben, dessen Leuchtkraft für einige Augenblicke stetig zunahm.
Doch dann verloschen die Lichter allesamt, von einem Moment zum anderen. Wie Seemammut-Tranfunzeln, die der Sturm ausgeblasen hatte.
„Das muss dein Freund, dieser Liisho sein!“, keuchte Bratlor. „Ich wette, er unternimmt gerade in der Höhle irgendwelche Experimente, um das Tor vielleicht auch ohne das Licht des Meermonds zu öffnen. Ich hoffe nur, dass er weiß, was er tut!“
Rajin und Bratlor wirbelten wieder herum, liefen weiter, und als sie auf halbem Weg zwischen dem schwarzen Felsen und dem Eingang zur Orakelhöhle waren, donnerte das Brüllen der Drachen in die Senke und wurde als Echo zwischen den Hängen hin und her geworfen.
Das erste dieser Ungeheuer flog in einer gewundenen Linie um den schwarzen Felsen herum. Es war ein gewöhnlicher Kampfdrache, nur unwesentlich größer als der Schwarz-Gelbe.
Dort, wo der Drachenreiter-Samurai in seinem Sattel saß, hatte man ihm nach drachenischer Art die Rückenstacheln auf einer Länge von zwei bis drei Schritt abgesägt.
Der Samurai trug eine drachenische Klinge am Gürtel, die – wie Rajin aus seinen Träumen wusste – eher ein Symbol seines Standes war. Normalerweise kam ein Drachenreiter-Samurai kaum dazu, sie jemals einzusetzen, denn seine mächtigste Waffe war der Drache selbst. In der Rechten hielt er den Drachenstab, den er zwischen die Rückenschuppen stieß, um bestimmte, sehr empfindsame Punkte zu berühren. Ein Werkzeug, um die innere Kraft des Drachenreiter-Samurai zu bündeln und zu lenken - so hatte Meister Liisho in seinen Traumbotschaften hinsichtlich der Wirkungsweise dieses Stabes erzählt. Aber jeder Drachenstab und die Kunst eines jeden Drachenreiter-Samurai wären wirkungslos gewesen, würden die drei Drachenringe Barajans, die das ererbte Eigentum des Drachenkaisers waren, nicht den Bann aufrechterhalten.
Rajin hatte den diesbezüglichen Ausführungen Liishos früher nie eine besondere Bedeutung beigemessen, denn er hatte sie mit nichts in Verbindung bringen können, was in seinem Leben eine Rolle spielte. Wie fern waren einem Jungen, der unbedingt mit den Seemammutjägern auf das Meer hinausfahren wollte, all diese Eindrücke und Traumbilder erschienen.
Aber auf einmal waren diese anfangs gleichermaßen rätselhaften wie unnütz erscheinenden Dinge von Bedeutung. All das Wissen, das der Weise Liisho in ihn gepflanzt hatte, tauchte aus den Tiefen seines Unterbewusstseins hervor, wo Rajin es für Jahre begraben hatte.
Er sah dem Drachen entgegen. Sein Blick begegnete dem der ihn anstierenden Drachenaugen, die so voller Hass, voller Wut und von unterdrückter Kraft waren. Einer Kraft, die stark genug gewesen war, die Welt im Ersten Äon völlig umzugestalten, wie es in den Legenden hieß - sie aufzureißen und das glühende Feuergestein aus ihrem Inneren fließen zu lassen, das nur der Ozean hatte löschen können, sodass sich Land und Meere neu bildeten.
Schaudern erfasste Rajin bei dem Gedanken an das, was Liisho ihm von der Macht des Urdrachen berichtet hatte, dass sich die gesamte Drachenheit womöglich erheben und sich die Zeit des Ersten Äons wiederholen konnte. Eine Zeit des Chaos und der Vernichtung würde anbrechen. Eine Zeit, die wohl kein Mensch überleben würde, es sei denn, es gelang ihm, durch eines der kosmischen Tore in eine andere Welt zu entschwinden.
Glutrote Flammen schossen aus dem weit aufgerissenen Maul des Drachen; gleichzeitig schien das gesamte Untier förmlich zu dampfen. Der dröhnende, den Erdboden erzittern lassende Laut, der aus der Tiefe seiner Drachenkehle drang, schien ein einziges Aufbegehren gegen die kalte Umgebung zu sein, in der sich kein Drache wohl zu fühlen vermochte. Die
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