DRACHENERDE - Die Trilogie
entledigt, die sie zuvor in mehreren Schichten übereinander getragen hatten.
„Liisho! Bratlor“, rief Rajin.
In der Mitte des Raums brannte eine salzähnliche Substanz in einer Metallschale mit bläulicher Flamme. Liisho hatte dieses Feuer am Abend mit Hilfe seiner Zauberkunst entzündet und behauptet, es würde Dämonen ebenso auf Abstand halten wie die Myriaden von Insekten, die in den Nächten dieser Gegend nach Blut jagten.
Die Flamme war die einzige Lichtquelle in dem fensterlosen Raum im Inneren des Kuppelbaus, in dem der Weise Liisho sein Heim hatte. Zahllose Gegenstände und Waffen aller Art hatte er in diesem Gebäude zusammengetragen, um sie bei passender Gelegenheit entweder weiterzugeben oder selbst einzusetzen, wie er Rajin gegenüber erklärt hatte. Darunter waren unter anderem mehrere Piken von doppelter Mannslänge, an deren Spitzen sich riesige Schwämme aufstecken ließen. Bei der Versorgung von Ayyaams Wunden am Vortag hatten sie ihnen gute Dienste geleistet.
Bratlor, der ein paar Schritt von Rajin entfernt sein Lager hatte, war ebenfalls erwacht. „Was ist da draußen los, Bjonn?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Das hört sich an wie nach der grausigsten Schlacht, wenn die Sterbenden auf dem Feld nach Erlösung schreien.“
Da wurde endlich auch der Weise Liisho wach, doch er schien in keiner Weise beunruhigt. „Legt euch wieder hin“, sagte er. „Hatte ich nicht erwähnt, dass die Nächte hier mitunter unruhig sein können? Zumindest für die, die einen leichten Schlaf haben …“
„Nein, davon hast du nichts erwähnt!“, gab Bratlor mit wütender Stimme zurück.
„Nun, dann muss ich es wohl vergessen haben bei all der Anstrengung gestern …“
Lange hatten sie sich um die Wunden des Drachen Ayyaam kümmern müssen und damit alle Hände voll zu tun gehabt. Erst nachdem der Jademond aufgegangen war, fiel der Koloss endlich in einen unruhigen Schlaf, von dem man nur hoffen konnte, dass er zur Genesung der riesigen Kreatur beitrug. Liisho hatte Rajin dann noch gezeigt, wie man mithilfe des Drachenstabs und mittels der inneren Kraft beruhigend auf einen Drachen einwirken konnte. Das waren Dinge, die Rajin in den Träumen, die Liisho ihm in der Vergangenheit schickte, immer wieder gesehen hatte. Aber es machte einen Unterschied, ob man es selbst tun musste oder nur ein Traumbeobachter war.
Der Drache schlief tief und fest – so fest, dass offenbar nicht einmal das Schreien und Wehklagen ihn zu wecken vermochte.
„Dich scheint es überhaupt nicht zu beunruhigen, was dort draußen vor sich geht“, sagte Rajin zu dem Weisen Liisho. „Ich dachte, die Insel und die Ruinen wären unbewohnt, abgesehen von ein paar wunderlichen Kreaturen, die hier hausen.“
„Das sind die Stimmen der Vergessenen Schatten“, erklärte Liisho. „Kein Grund, sich aufzuregen. Selbst mein guter Ayyaam lässt sich durch sie nicht aus der Ruhe bringen oder gar den Schlaf rauben. Weil er genau weiß, dass sie ihm hier nichts anhaben können. Ich habe nämlich einen Teil der Ruinen von Qô mit einem Bannkreis umgeben, der mir diese aufdringlichen Plagegeister vom Leib hält. Dass ihre Schreie und ihr Gewimmer bis hierher dringen, kommt leider hin und wieder vor. Obwohl – ich habe mich schon so an dieses Gekreische gewöhnt, ich höre es schon gar nicht mehr.“
Ein besonders furchtbarer Schrei – von einem Kind, wie es Rajin schien – drang an ihrer aller Ohren, und entgegen seiner gerade geäußerten Behauptung schien dieser schreckliche Laut auch dem Weisen Liisho durch Mark und Bein zu fahren.
„Das muss unmittelbar vor diesem Gebäude gewesen sein“, stieß Bratlor hervor – und Rajin teilte diesen Eindruck. Kurz entschlossen streifte er sich die Stiefel über und ging in Richtung Ausgang, das leichte drachenische Schwert in der Hand.
Einen vollkommen dunklen Gang von nicht mehr als fünf Schritten musste er hinter sich bringen, ehe er die Tür ins Freie aufstoßen konnte.
Das Licht der fünf Monde beschienen die Ruinen von Qô. Der Drache Ayyaam lag auf der Meerseite des Plateaus und hatte die Flügel nicht auf dem Rücken gefaltet, wie des bei Drachen üblich war, wenn sie ruhten, sondern breit ausgefächert. Am Vortag hatten Liisho, Rajin und Bratlor die Wunden seiner Schwingen immer wieder mit verschiedenen Tinkturen bestrichen, die den Heilungsprozess beschleunigen sollten, und auch diese Haltung diente dazu. Liisho hatte sie ihm durch seinen Willen aufgezwungen und Rajin
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