DRACHENERDE - Die Trilogie
Weise erfüllt hatte, half ihm, diese Regung zurückzudrängen. Es gab eben Wünsche, die erfüllbar waren – und solche, von denen man sich lösen musste …
Wulfgarskint genoss eine Weile das Gefühl, das der Tod der Wölfe in ihm hervorgerufen hatte. Aber schon keimte die Ahnung in ihm auf, dass diese relative Zufriedenheit nicht lange anhalten würde.
Dann regte sich der Wunsch zu töten erneut. Vor seinem inneren Auge sah er wieder die Gräuel von Winterborg, und die Gier nach Rache brodelte in ihm hoch. Rache an allen, die in irgendeiner Weise für das Geschehene verantwortlich waren.
Seine Rattennase witterte die Spur der Drachen ebenso wie die von Bjonn Dunkelhaar, und er stellte sich vor, wie er ihre Körper zerriss, wie er ihr Blut spritzen ließ, wie er in Gestalt eines Ascheschwarms in ihre Münder und Nasenlöcher eindrang, ihr Gehirn wie ein Hagelschlag durchdrang und dann aus den Augen wieder hervortrat, nur um sogleich ein weiteres Opfer zu attackieren.
Wulfgarskint hatte das Gefühl, dass die Vernichtung der Eiswölfe ihm zusätzliche Kraft gegeben hatte. Lebenskraft, dachte er. Das musste es sein. Offenbar übertrug sich ein Teil der Lebensenergie, die allen Kreaturen innewohnte, auf ihn, wenn er das jeweilige Wesen tötete.
Wulfgarskint achtete nicht auf die Zeit. Er bemerkte kaum, ob es hell oder dunkel war, denn längst hatte er sich so weit an seine neue Existenzform gewöhnt, dass sein Gesichtssinn für ihn nicht mehr wichtig war. Dennoch - wenn der Augenmond am Himmel stand, dann veranlasste ihn das jedes Mal, zu ihm aufzublicken. Schmerzlich erinnerte ihn dieser Anblick daran, dass sein neues, untotes Leben alles andere als frei war.
Schon bald wurde Wulfgarskint wieder von Ruhelosigkeit erfüllt. Erneut regte sich der Drang zu töten in ihm. Denn er spürte, dass sich eine große Anzahl Drachen näherte. Jene Kreaturen, die alles zerstört hatten, was ihm je etwas bedeutet hatte.
Er flog als wirbelnder Schwarm aus Ascheteilchen bis zu einer Anhöhe und nahm dort wieder die Gestalt des Rattenmanns an. Der Blick seiner knopfartigen dunklen Augen war in die Ferne gerichtet. Dort kamen die ersten Kriegsdrachen über den Horizont. Sie hoben sich dunkel gegen das tief stehende Sonnenlicht ab und wären für ein menschliches Auge kaum zu erkennen gewesen. Aber Wulfgarskint wusste, dass sie es waren.
Er erfasste sie mit seinen neuen Sinnen, und er spürte, dass die riesigen fliegenden Ungetüme offenbar auch ihn auf diese Entfernung zur Kenntnis nahmen. Unruhe und Furcht erfüllte die Seelen der Drachen, und ihre Reiter mussten ihre ganze Kunst aufbringen, sie weiter voranzutreiben.
Hin und wieder war ein unwohliges Aufstöhnen zu hören. Manchmal zuckten auch Flammen aus den Mäulern der Drachen, so als begehrten sie gegen einen unsichtbaren Feind auf.
Ja, fürchtet mich, dachte Wulfgarskint. Ihr habt Grund dazu! Fürchtet niemanden mehr als mich, denn niemand wird euch mit solcher Wonne zerfleischen!
Inzwischen tauchten auch die ersten Gondeldrachen am Horizont auf, und Wulfgarskint malte sich aus, wie ratlos die Drachenreiter und Gondelinsassen auf einmal hinsichtlich der Unruhe der Drachen waren, wie die Furcht vor diesem unsichtbaren Gegner auch sie erfasste, obwohl sie gar nicht in der Lage waren, seine Anwesenheit zu erspüren. Nur die Reaktionen der Drachen verrieten ihnen, dass etwas nicht stimmte.
Vielleicht schoben sie die Ursache zunächst auf die außerordentlich kalte Witterung dieses Landes und andere Widrigkeiten, die damit verbunden waren. Sobald sie erkannten, was sie tatsächlich bedrohte, würde es zu spät sein, dachte Wulfgarskint.
Er wartete ab. Es gab keinen Grund, der Drachenarmada entgegenzukommen. Das hätte unter den Drachen vielleicht eine Panik ausgelöst, und sie hätten die Flucht ergriffen.
Der Wunsch zu töten wurde immer stärker, und er konnte es kaum noch erwarten, sich auf die Drachen zu stürzen. Sie brüllten und schienen wie von Sinnen. Schon hatte er die Befürchtung, dass sie womöglich ihre Reiter oder sich gegenseitig umbringen würden und Wulfgarskint damit die Möglichkeit nahmen, sie selbst zu töten.
Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten. Als Ascheschwarm wirbelte er den Drachen entgegen. Dem ersten flog er durch das geöffnete Maul in den Rachen. Der Feuerstrahl, der im gleichen Augenblick hervorschoss, machte Wulfgarskints untoter Existenz nichts aus. Er war bereits zu Asche verbrannt worden. Er konnte nicht
Weitere Kostenlose Bücher