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DRACHENERDE - Die Trilogie

DRACHENERDE - Die Trilogie

Titel: DRACHENERDE - Die Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Drachenreitens nicht begriffen, Bratlor“, hielt Liisho dagegen. „Nimm es mir nicht übel - ich habe ohnehin meine Zweifel, ob überhaupt ein Seemanne in der Lage wäre, das zu verstehen. Und damit ist diese Unterhaltung auch beendet. Ich war großzügig, als ich dich hier in Qô und an der Seite meines Zöglings geduldet habe, und ich bin durchaus bereit, diese Großmütigkeit auch weiterhin aufzubringen. Aber du solltest meine Gastfreundschaft nicht über Gebühr strapazieren.“
    Bratlor erkannte, dass er Liisho bis auf Weiteres in dieser Sache nicht umstimmen konnte. So vertrieb er sich zumindest am Tag die Zeit mit Streifzügen durch die Ruinenstadt. Doch auch wenn ihn die Stimmen der Vergessenen Schatten inzwischen einigermaßen ruhig schlafen ließen, so sah er doch immer zu, dass er vor Einbruch der Dunkelheit wieder auf dem Plateau und damit innerhalb von Liishos Bannkreis war. Er war nämlich keineswegs erpicht darauf, diesen geheimnisvollen Kreaturen plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und von ihnen angegriffen zu werden. Manchmal waren sie schon zu hören, kurz nachdem der Blutmond aufgegangen war, in anderen Nächten warteten sie, bis der Schneemond seinen Zenit erreichte, um dann allerdings um so lauter ihr Wehklagen und Schreien anzustimmen.
    Als Rajin den Weisen Liisho einmal daraufhin ansprach, erklärte dieser: „Die Vergessenen Schatten sind eben in jeder Hinsicht unberechenbar. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten. Allerdings habe ich in all den Jahren, da mir dieser Ort nun schon als Versteck dient, noch keinen von ihnen bei Tageshelle gesehen oder gehört. Vor dem Aufgang des Blutmonds und nach dem Untergang des Schneemonds möchte man glauben, dass sie gar nicht existieren, dass Qô nicht eine Stadt ist, deren Bewohner einst ein grausames Ende fanden, sondern ein Ort, den die Einwohner freiwillig verließen, um sich anderswo, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, niederzulassen.“
    So sehr Rajin unter den nächtlichen Jammern und Stöhnen und Schreien litt, so machte ihm doch etwas anderes noch viel mehr zu schaffen: Der Gedanke, dass Nya offenbar nach wie vor eine Gefangene des Usurpators war, raubte ihm ebenso den Schlaf wie die Klagen der Vergessenen Schatten. Immer wieder entrollte er das Pergament. Doch mehr als zerfließende Farben und wabernde, unklare Formen waren darauf nicht zu erkennen.
     
    Ein ganzer Monat – der im Übrigen in allen fünf Reichen anhand der Umlaufbahn des Schneemonds berechnet wurde – verging, und Rajin hatte inzwischen bereits einiges Geschick als Drachenreiter entwickelt. Dutzende von sorgsam mit Zaubersalzen konservierte Drachensättel gehörten zu dem Fundus an Gegenständen, die Liisho im Kuppelbau gesammelt hatte – und Rajin probierte verschiedene von ihnen aus. Schließlich fand er einen, der besonders gut passte. In das Leder war ein Zeichen graviert, das mehrere Bedeutungen hatte, wie Liisho erläuterte: Es stand gleichermaßen für „Schrecken“, „Macht“ und die Stadt Qô, die vor dem grausamen Massaker an den Qôanern der gesamten Insel ihren Namen gegeben hatte. „Dieses Zeichen wurde später aus dem Zeichensatz der drachenischen Schrift verbannt“, erklärte Liisho. „Und zwar auf Anordnung des Kaisers.“
    „Warum das?“, fragte Rajin.
    „Ich nehme an, dass dein Vorfahr nicht an die Schande erinnert werden wollte, die Kaiser Onjin über das Kaiserhaus und das ganze Land gebracht hatte. Denn durch Onjins Befehl zur Ermordung der gesamten Einwohner von Qô war der Name Drachenias und der des Kaiserhauses Barajan auf ewig mit dieser Bluttat verbunden und dadurch befleckt. So wie Kaiser Onjin die Namen derjenigen, die damals ein sechstes Reich proklamierten, aus allen Dokumenten tilgen ließ, so wurde die Benutzung dieses Zeichen schlicht untersagt, in der Hoffnung, dass das Massaker von Qô irgendwann in Vergessenheit geraten würde. Nur im Ostmeerland wurde es noch Jahrhunderte später verwendet; in den Schriften der Priesterschaft von Ezkor wird es häufig stellvertretend für Unaussprechliches benutzt.“
    „Vielleicht ist es kein besonders gutes Omen, mit so einem Sattel zu reiten“, überlegte Rajin.
    „Es ist ein Zeichen der Wahrheit“, entgegnete Liisho. „Was sollte daran schlecht sein? Alle diejenigen, die sich unter Katagis Herrschaft bisher darin gefielen, den namenlosen Schrecken über andere zu bringen, sollen ihn nun selbst durch dich erfahren.“
    Rajin holte das Pergament hervor,

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