DRACHENERDE - Die Trilogie
Fuß des Felsens, auf dem die Zitadelle errichtet war, war nicht einmal zu einem Viertel wiederbesiedelt worden. Nur wenige Dschunken lagen im Hafen. Ein trauriger Anblick, wie Rajin fand. Aber vielleicht würde sich das eines Tages wieder ändern, wenn mehr Menschen den Mut fanden, sich hier wieder anzusiedeln.
Nun, das waren Probleme, um die sich der Kaiser erst kümmern konnte, wenn der Krieg zu Ende und die Existenz des Drachenreichs gesichert war.
Ghuurrhaan und Ayyaam landeten auf dem zentralen Platz der Zitadelle. Rechts lag die Kathedrale des Heiligen Sheloo, in der der in Katagis Diensten stehende Magier Ubranos den Sarg mit der schlafenden Nya einst aufbewahrt hatte, um Rajin herzulocken.
Beim Anblick des Gemäuers legte sich ein harter Zug auf Rajins Gesicht. Er war seinerzeit nach Kenda gekommen, um Nya zu befreien, und Ubranos' Plan, der den rechtmäßigen Thronfolger Drachenias eine tödliche Falle hatte stellen wollen, hatte sich in sein Gegenteil verkehrt: Ubranos selbst hatte den Tod gefunden und Rajin den gläsernen Sarg mit sich genommen. Aber die Seelen seiner Geliebten und seines Sohnes hatte er seitdem noch nicht wiedergefunden; sie blieben verschollen. Und vielleicht – dieser Verdacht regte sich durchaus auch bei ihm ab und zu – existierten sie gar nicht mehr. Auch wenn er sich bisher stets geweigert hatte, diese Möglichkeit näher in Betracht zu ziehen, so gestand er sich insgeheim doch ein, dass er vielleicht nur irgendwelchen Trugbildern erlegen war: zuerst denen eines Magiers im Dienste Katagis und später den jenen, die seine Sehnsucht und seine unerfüllte Hoffnungen ihm schickten.
4. Kapitel
Der Unsichtbare Tod
Etwa zwei Dutzend Kampfmönche aus der Bruderschaft des Leao näherten sich den beiden gelandeten Drachen. Die Köpfe der Männer waren kahl geschoren, und sie trugen schwarze Hosen und Jacken; Letztere wurden durch breite Stoffgürtel zusammengehalten, auf denen in goldfarbenen Schriftzeichen der Wahlspruch des Ordensgründers Leao aufgestickt war: Das Unsichtbare erkennen, das Göttliche ehren und das Böse vernichten.
Manche dieser Männer trugen Waffen, zumeist Schwerter, die den Matana-Klingen der Drachenreiter-Samurai ähnelten, zum Teil aber auch solche mit einer sich zu einer Gabel aufspaltende Klinge und andere wiederum eine Mischung aus Schwert und Lanze, so lang wie ein ausgewachsener Seemanne, vorn mit einer etwa schwertlangen Klinge und am Schaft mit einer, die nicht länger war als eine Elle und sich bei manchen Exemplaren auch zwei- oder dreifach gabelte.
Die Leao-Kampfmönche waren berüchtigt hinsichtlich ihrer Fantasie bei der Erfindung neuartiger Hieb- und Stichwaffen. Zudem waren sie Meister in deren kunstvoll-tödlicher Anwendung.
Rajin und seine Begleiter stiegen von Ghuurrhaans Rücken, woraufhin einer der Mönche vortrat. Er trug das Amulett des geistigen Anführers dieser Gemeinschaft. Es handelte sich um den neuen Meister in der Nachfolge des Leao, und sein Name lautete Tesan-Gon, wobei der Namensbestandteil Gon soviel wie der Erleuchtete bedeutete und eigentlich den Priestern der Kirche vom Ezkor vorbehalten war. Weil ihn aber auch die Kampfmönche des Leao zumindest für die ranghöheren Mitglieder ihrer Gemeinschaft beanspruchten, war der Legat des Abts von Ezkor schon wiederholt mit Protestnoten beim Kaiser vorstellig geworden.
Aber Rajin hatte sich entschieden, in dieser Frage zunächst alles beim Alten zu lassen. Seinem Verständnis nach waren das Fragen, die gegenwärtig keine Priorität hatten. Schließlich hatte es die Kirche auch schon während der Regierungszeit Katagis notgedrungen hinnehmen müssen, dass Mitglieder der Leao-Bruderschaft den Namenszusatz Gon trugen. So hatte Rajin eine endgültige Klärung dieser Angelegenheit auf eine unbestimmte Zukunft verschoben.
Tesan-Gon verneigte sich tief. Rajin war ihm zuvor noch nicht persönlich begegnet, obgleich er den Meister in der Nachfolge des Leao quasi in sein Amt eingesetzt hatte. Denn die Mönchsbruderschaft durfte zwar weiterhin die Kathedrale des Heiligen Sheloo bewachen, dies war ihr jedoch nur unter der Bedingung gestattet worden, dass sie ihren Meister auswechselte, denn immerhin hatten die Kampfmönche des Leao zu den fanatischsten Anhängern des Usurpators Katagi gehört. Sie gegen sich aufzubringen, indem er ihnen restlos alle Privilegien nahm und sie aus der Zitadelle verjagen ließ, war Rajin in der gegenwärtigen Situation des Drachenlandes nicht
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