DRACHENERDE - Die Trilogie
Tesan-Gon.“
„Sehr wohl, o Kaiser. Euer Wunsch ist mir Befehl.“
Rajin, Koraxxon und Ganjon wurden in ein Nebengebäude der Zitadelle geführt, das als Bibliothek diente. Die Wände waren mit Regalen bedeckt, die voll gestopft waren mit offenkundig wertvollen Büchern, und von der Decke hingegen Hunderte von Schriftrollen, für die man eine kleine Trittleiter besteigen musste, um sie zu erreichen. Mehrere Mönche befanden sich bei ihrem eifrigen Studium alter Schriften. Auf vielen der Buchrücken war immer wieder der Name Leao zu lesen, wobei er längst nicht immer deren Autor war; zumeist handelte es sich dabei um Auslegungen seiner überlieferten Worte.
Tesan-Gon klatschte zweimal energisch in die Hände und schickte die Mönche damit fort. Sich verneigend verließen sie den Raum. „Worüber möchtet Ihr mit mir sprechen, mein Kaiser?“
„Ich suche einen Mann, den man den Bleichen Einsiedler nennt.“
Tesan-Gon nickte. „Ich weiß, von wem Ihr sprecht. Er kommt regelmäßig her, um die Kathedrale zu besuchen. Ein kaiserlicher Erlass gewährt ihm dieses Privileg.“
„Wo finde ich ihn?“
„Er streift durch die Gegend, man findet ihn mal hier und mal dort. Da wir Mönche die Zitadelle so gut wie nie verlassen, hören wir auch nur wenig von dem, was außerhalb dieser Mauern geschieht. Ganz in der Nähe der Zitadelle befindet sich ein schwarzer Felsen ...“
„Der zweite Pfeiler des Kosmischen Tors, zu dem auch die Kathedrale gehört“, stellte Rajin fest.
„Ja, so ist es.“
„Was ist mit dem Felsen?“
„Dort sieht man den Bleichen Einsiedler ab und zu. Der Felsen ist eine gute Meile von hier entfernt. Von einem unserer Türme könnt Ihr ihn sehen. Allerdings müsst Ihr etwas Geduld mitbringen, wenn Ihr diesen … nun, seltsamen Kauz dort zu treffen hofft.“
„Weshalb?“
„Es dauert manchmal Wochen, manchmal auch Monate, bis er dort wieder erscheint. Dann ist er wieder für längere Zeit verschwunden. In seinem Lebenswandel scheint keinerlei Regelmäßigkeit zu liegen. Vielleicht ist das der Grund, dass der Unsichtbare Gott ihn mit ewigem Leben verflucht hat, was ihn daran hindert, jemals die paradiesischen Gefilde zu erreichen.“
„Ewiges Leben?“, fragte Rajin. „Ist das nicht nur eine Geschichte, die man sich erzählt?“
„Nein, das glaube ich nicht.“ Der geistige Anführer der Leao-Mönche machte eine weit ausholende Geste, die die Unmengen von Büchern und Schriftrollen umfasste, die sich um sie herum befanden. „Ich habe viele dieser Schriften gelesen. Es finden sich auch einfache Chroniken darunter, die schon von jenen geführt wurden, die vor unserer Gemeinschaft die Kathedrale bewachten. Und der Bleiche Einsiedler wird auch in älteren Dokumenten schon erwähnt - Dokumente, deren Entstehung so lange zurückliegt, dass es nur eine Erklärung geben kann: Der Bleiche Einsiedler wandelt durch die Jahrhunderte. Nun, angeblich braucht er ja auch keine Nahrung und nichts zu trinken, wie er im kaiserlichen Schmachtloch einst bewies. Aber sicherlich ist das eine Geschichte, die Ihr schon kennt.“
„Ich erfuhr kürzlich davon“, erwiderte Rajin. „Aber ehrlich gesagt, hege ich doch meine Zweifel hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts. Vielleicht sollte ich mit ihm selbst darüber sprechen ...“
„Ich bin ihm nur ein einziges Mal begegnet, das ist noch nicht lange her. Der Blutmond hatte gerade begonnen abzunehmen ...“ Auf der Stirn des Meisters in der Nachfolge des Leao erschien eine tiefe Furche, die dem Faltenmuster seiner wettergegerbten Haut eine völlig andere Struktur zu geben schien. Ein Ausdruck des Zweifels prägte seine Züge. Nur für einen kurzen Moment offenbarte Tesan-Gon auf diese Weise sein Inneres, dann kehrte er zum Ideal der vollkommenen geistigen und körperlichen Selbstbeherrschung zurück, dem sich jedes Mitglied der Bruderschaft des Leao verpflichtet sah. „Er vollführt seltsame Rituale in der Kathedrale des Heiligen Sheloo, zu der wir ihm ja leider ungehinderten Zugang gewähren müssen“, fuhr er fort. „Zwar duldet er es nicht, dass dann jemand von uns zugegen ist, aber einer unserer Novizen konnte seine Neugier nicht bezwingen und hat ihn heimlich beobachtet. Ob das, was er gesehen hat, mit der Heiligkeit dieses Ortes und mit unserem Glauben an den Unsichtbaren Gott in Übereinstimmung zu bringen ist, halte ich für sehr fraglich.“
„Von was für Ritualen redet Ihr?“, fragte Rajin.
„Er berührte bestimmte Stellen an
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