DRACHENERDE - Die Trilogie
ratsam erschienen. Aber andererseits konnte er auch nicht dulden, dass sich rund um die Kathedrale des Heiligen Sheloo ein Zentrum der Verschwörung gegen ihn und seine Herrschaft bildete.
Also hatte Rajin darauf bestanden, dass ein Meister aus einem anderen Kloster der Leao-Bruderschaft die Führung in Kenda übernahm, während ihr alter geistiger Anführer in Klausur in der abgelegenen Provinz Tambanien hatte gehen müssen. Die Leao-Kampfmönche hatten dies schließlich akzeptiert, denn sie hatten eingesehen, dass dieser Weg die einzige Möglichkeit für ihre Gemeinschaft war, weiterhin die Kathedrale bewachen zu dürfen, die als Heiligtum des Unsichtbaren Gottes eine besondere Rolle in ihren Glaubensvorstellungen einnahm.
Rajin streckte Tesan-Gon die Metallhand entgegen, sodass der Meister in der Nachfolge des Leao die drei Drachenringe sehen konnte, die das wichtigste Symbol der Herrschaft des drachenischen Kaisers waren. Katagi hatte diese Geste, die noch aus den Zeiten Barajans stammte, natürlich tunlichst vermieden, hätte sie doch alle Welt gezeigt, dass ihm einer der Ringe fehlte.
„Seid gegrüßt, o erhabener Kaiser!“, sagte Tesan-Gon und kniete nieder. „Ehre sei dem Träger der Drachenringe und dem Bewahrer des Glaubens an den Unsichtbaren Gott!“
„Erhebt Euch, Meister Tesan-Gon“, sagte Rajin. Bei der Auswahl dieses Mannes hatte er sich auf Ratgeber verlassen müssen, bei denen er sich selbst nicht so ganz sicher sein konnte, in wieweit sie dem neuen Kaiser gegenüber tatsächlich loyal eingestellt waren. Aber neben der Tatsache, dass Tesan-Gon einem weit abgelegenen Kloster der Leao-Bruderschaft entstammte, sprach noch etwas anderes für ihn: sein Alter. Obwohl man es ihm nicht ansah, hatte er bereits über achtzig Winter erlebt, auch wenn ihm das harte Training der Kriegermönche den federnden Gang und die Beweglichkeit eines viel jüngeren Mannes bewahrt hatte. Nur die zahllosen reliefartigen Falten seines Gesichts verrieten sein wahres Alter.
Tesan-Gon hatte seine Prüfung zum Meister bereits abgelegt, Jahre bevor der Usurpator Katagi Kojan I. und seine Gemahlin Minjanee hatte ermorden lassen und die Macht in Drachenia an sich gerissen hatte. Damals waren die Leao-Mönche noch kaisertreu gewesen, und es wäre für sie geradezu unvorstellbar gewesen, einen Thronräuber als Herrscher anzuerkennen. Die Zusicherung allerdings, die Kathedrale des Heiligen Sheloo weiterhin bewachen zu dürfen, hatte diese Einstellung allerdings bei vielen radikal geändert.
Tesan-Gon erhob sich wieder und sagte: „Es ist mir eine Ehre, Euch willkommen heißen zu dürfen, auch wenn Euer Besuch sehr überraschend kommt.“
„Da Ihr, wie ich annehme, nichts vor mir zu verbergen habt, bringt Euch mein unangekündigtes Erscheinen doch nicht in Bedrängnis, oder?“, fragte Rajin.
„Natürlich haben wir nichts vor Euch zu verheimlichen, Herr“, antworte Tesan-Gon. „Aber wir hätten Euch gern mit größeren Ehren empfangen, als es uns nun möglich ist.“
„Das macht nichts. Ich weiß Euren guten Willen sehr wohl zu schätzen, Tesan Gon.“
„Einer unserer Turmwächter sah Euch heranfliegen – zwei ehemalige Wilddrachen, offenbar nur von einer Person gelenkt, denn der zweite Drache flog ohne Reiter. Das konnte nur unser neuer Kaiser sein, dem in diesen Dingen die erstaunlichsten Geschichten vorauseilen.“
„Erstaunlich sind diese Geschichten nicht für den, der noch die Regentschaft des letzten wahren Drachenkaisers erlebte, der alle drei Ringe an der Hand trug“, erwiderte Rajin.
„Das mag wohl sein. Aber die Tage, da Euer Vater regierte, sind lange her, und eine neue Generation ist inzwischen herangewachsen.“
„Dessen bin ich mir wohl bewusst, Tesan-Gon.“
„Die Drachenpferche der Zitadelle stehen Euch zur Verfügung, auch wenn wir sie erst herrichten müssen und es schwer sein wird, Drachenfutter zu besorgen. Für Euch und Euer Gefolge werden wir natürlich die besten Quartiere herrichten, wobei Euch hoffentlich bekannt ist, dass wir hier wenig Luxus kennen. Gleiches gilt für die Mahlzeiten, die wir Euch anbieten können. Wir pflegen unsere Nahrung nach den Rezepten des Weisen Leao zuzubereiten, der, wie Euch vielleicht bekannt ist, die Gläubigen in jeder Hinsicht zu äußerster Bescheidenheit ermahnte.“
„Keine Sorge, niemand erwartet, dass Ihr dem Kaiser ein Bankett serviert. Ich würde mich gern mit Euch unterhalten – und zwar an einem Ort, an dem wir ungestört sind,
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