DRACHENERDE - Die Trilogie
verlor die Drachenschlange innerhalb eines Augenblicks beinahe die Hälfte ihrer Größe.
Plötzlich tauchten aus dem Nichts der Schattenpfade dunkle Wirbel auf. Es waren Hunderte, und sie bildeten diesmal keine drachengroßen geflügelten Schatten, sondern sehr viel kleinere Gestalten, kaum größer als Zweikopfkrähen. Immer wieder gruppierten sich die winzigen schwarzen Teilchen, und die fliegenden Wesen, die dabei entstanden, hatten abgesehen von ihrer schattenhaften, alles Licht verschlingenden Schwärze und ihrer Größe nichts miteinander gemein: Die Formen waren so vielfältig wie ihre Anzahl hoch. Sie wirbelten wild und mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die Luft, dann umschwirrten sie den Kopf der Drachenschlange von allen Seiten wie ein Schwarm lästiger Insekten.
Aus den Körpern der Angreifer fuhren auf einmal Stacheln aus. Sie wirkten wie kleinere Exemplare der Glutschwerter, mit denen die Schatten in ihren bisherigen Gestalten gekämpft hatten, und mit ihnen versetzten sie Blootnyr innerhalb weniger Augenblicke zahllose Stiche.
Die Drachenschlange wand sich, ihr Schwanz peitschte ins Meer und erzeugte Wellen, die sich an der Steilküste vor Qô brachen und bis hinauf zum Plateau spritzten. Der noch immer glühende schwarze Felsen wurde für einen Moment überspült. Zischend kochte das Wasser auf, und Dampfschwaden stiegen auf, die den Blick teilweise vernebelten.
Die Vergessenen Schatten waren hartnäckiger, als der Blutmondgott wohl zunächst geglaubt und Rajin zumindest gehofft hatte.
„Was habt Ihr in Eurer Welt nur für Narren als Götter!“, rief Branagorn außer sich.
„Sagt bloß, Ihr habt gewusst, dass die Vergessenen Schatten nicht wirklich besiegt waren!“, höhnte Ganjon.
„Natürlich habe ich es gewusst – und Euer Gebieter und Kaiser ebenso, auch wenn er sich vielleicht im Innersten gewünscht hat, dass er sich den Schatten nicht mehr zu stellen braucht. Aber das wird er kaum vermeiden können.“
Der Drachenschlange gelang es, ein wenig Abstand zwischen sich und den schwirrenden Schattenschwarm zu bringen, der dann allerdings erneut versuchte, ihren Kopf zu attackieren. Blootnyr schlug daraufhin wild mit dem Schwanz durch die Luft. Einer dieser Schläge knallte auf die Steilküste vor Qô, nur ein paar Meilen weiter nördlich vom Plateau entfernt, auf dem sich Rajin und seine Getreuen befanden. Ein Stück, so groß wie ein ganzer Acker, wurde aus dem Ufer gehauen und brach in das aufgepeitschte Wasser. Dann fuhr der Drachenschwanz empor und schlug nach dem Schwarm der schwirrenden Schatten, die sich jedoch rechtzeitig auflösten, um nicht getroffen zu werden. Sie wurden zu wirbelndem Rauch und retteten sich über den Schattenpfad, wie man es von ihnen gewohnt war.
Offenbar hatten sie im Kampf mit dem Blutmondgott dazugelernt.
Dieser ließ ein ohrenbetäubendes Dröhnen vernehmen, aus dem Rajin bereits ein gewisses Quantum an Verzweiflung herauszuhören meinte. Ein Schwall von Gedanken des Gottes erreichte den jungen Kaiser – aber diese Gedanken waren für ihn keineswegs so bedrängend und schmerzhaft, wie es am Anfang der Begegnung mit Blootnyr gewesen war.
Er wird schwächer, wurde es dem jungen Kaiser klar. Die Blutmond-Sonnenfinsternis war so gut wie vorbei. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde der Blutmond die Sonnenscheibe vollkommen verlassen haben. Noch verdeckte er einen bogenförmiger Bereich am Rand der Sonne, der völlig schwarz war, als wäre er von Finsternis erfüllt. Aber dieser Bereich wurde zusehends kleiner, und parallel dazu verringerten sich auch Kraft und Größe der seemannischen Gottheit.
Die Vergessenen Schatten hatten den denkbar besten Augenblick für ihren Angriff gewählt.
„Tut etwas, um dem Blutmondgott zu helfen!“, verlangte Rajin von Branagorn.
„Wie käme ich dazu, einem Gott zu helfen?“, entgegnete der Bleiche Einsiedler.
„Um Euer eigenes Überleben zu gewährleisten und das erfüllen zu können, was wir uns vorgenommen haben“, antwortete ihm Rajin.
„Es wird nur dazu führen, dass die Vergessenen Schatten abermals vertrieben werden, um dann später wieder zuzuschlagen“, gab Branagorn zu bedenken. „Ich war von Anfang an offen zu Euch und habe keinen Hehl daraus gemacht, dass dies alles ist, was ich vermag.“
„Ja, das weiß ich ...“
„Zauberkraft lässt sich nicht nach Belieben vermehren, o Kaiser“, erklärte Branagorn, griff jedoch in seine Tasche aus Wolfshirschleder und holte ein braunes Rohr aus
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