DRACHENERDE - Die Trilogie
haben sich in mein Gedächtnis eingeschrieben. Ich wurde alt, und die Spanne eines gewöhnlichen Lebens hatte ich lange überschritten. Die Kraft so mancher Zaubertränke hatte es wohl verlängert und mir die nötige Kraft gegeben, um den süßen Verlockungen des Todes zu widerstehen. Zu vieles gab es noch zu tun, zu vieles noch zu erfahren und zu sehen.
Doch in jener Nacht, von der ich berichten will, neigte sich mein Leben scheinbar unwiderruflich dem Ende entgegen. Ich schlief ein, nachdem eine ungewöhnlich bleierne Müdigkeit über mich gekommen war und ich bereits ahnte, dass ich vielleicht nicht mehr erwachen würde. Die Augen, die sehen, schlossen sich, und im Traum erschien mir eine Gestalt in dunkler Kutte. Das Gesicht, das unter der Kapuze hervorleuchtete, glich dem Augenmond. Es war ein sandfarben leuchtendes Oval mit zwei unterschiedlich großen, schwarzen Augen darin.
„Wer bist du?“, fragte ich im Traum.
Die Gestalt deutete mit dürren Fingern auf die zweischneidige Axt, auf deren Stil sie sich stützte, und fragte: „Erkennst du mich denn nicht, Liisho, da man dich doch den Weisen nennt?“ Ein schauderhaftes Gelächter folgte. „Ah, ich habe so viele Namen, dass ich nicht weiß, welchen davon ich dir empfehlen soll. Der Herr des Augenmondes werde ich genannt, Ogjyr heißt man mich im Seereich, und unter dem Namen Axtmann erschreckt man mit Geschichten über mich die Kinder der Tajimäer und der Feuerheimer. Aber ich heiße auch Traumhenker, Schlafbringer und Todverkünder - und seit man in Drachenia den Glauben an den Unsichtbareren Gott zur Staatsreligion gemacht hat, bin ich dort der Namenlose geworden. Der, den angeblich der neue Gott vernichtete und dessen Existenz doch niemand leugnen kann, der Augen hat, die zum Himmel sehen können. - Suche dir einen Namen aus, Liisho!“
„So nenne ich dich Traumhenker, weil du mich im Traum überfällst. Warum bist du gekommen?“
„Ahnst du es nicht?“
„Um meine Seele zu holen, auf dass du deinen Schabernack mit ihr treiben kannst?“
„Ich bekomme die Seelen nicht. Ich trenne sie nur. Niemand will bei mir bleiben. Die Seelen der Sterblichen meiden mein Reich, wie es in Kinderversen besungen wird, und ich meide inzwischen auch sie, denn sie sind mir zuwider geworden. Nur hin und wieder schlage ich einem Verdammten einen Handel vor …“
„Warum nennst du mich einen Verdammten?“
„Weil du es von nun an sein wirst. Von diesem Augenblick an, da ich dir etwas anbiete, was kaum ein Sterblicher auszuschlagen vermag. Und schon gar nicht einer wie du, der den Namen Die-Augen-die-sehen trägt und dessen Augen noch längst nicht genug gesehen haben …“ Er trat näher. „Ich gebe dir Lebenskraft für ein ganzes Zeitalter, wenn deine Seele anschließend mir gehört und mir die einsamen Stunden auf dem Augenmond vertreibt!“
Mir schauderte, zumal mir bewusst war, dass er sein Angebot wirklich ernst meinte. Ich willigte ein, und am nächsten Tag erwachte ich mit neuer Kraft und einem eisernen Ring um das linke Fußgelenk, wie Gefangene sie tragen. Ich wandte mich an den kaiserlichen Schmied Lanjin, der es trotz Anwendung seiner ganzen Kunst nicht vermochte, mich von diesem Ring zu befreien, es sei denn, er hätte mir den Fuß abgeschlagen. Das Metall und seine Verarbeitungsweise waren ihm vollkommen unbekannt, und er war sich sicher, dass es sich auch nicht um eine jener besonderen Legierungen handelte, deren Geheimnisse die Schmiede Feuerheims seit ewigen Zeiten für sich bewahren. Ebenso rätselhaft waren die in das Metall gravierten Zeichen. Schriftzeichen, die weder der in Drachenia gebräuchlichen Schrift noch den Runen der Seemannen oder den Alphabeten von Magus, Feuerheim oder Tajima ähnelten. Eine Schrift der Vergangenheit, so dachte ich, die wahrscheinlich Zauberkraft besitzt – aber selbst in Ezkor, wo die Priesterschaft des Unsichtbaren Gottes die mit Abstand größte Bibliothek des Drachenlandes unterhält, wurde ich nicht fündig.
So war es wohl mein Schicksal, ein Gefangener des Traumhenkers zu sein.
Sein Wort hielt er.
Meine Lebensspanne hat jedes menschliche Maß überschritten, und selbst die Angehörigen des Magier-Volkes, deren Blut ja auch in meinen Adern fließt, können sich nicht über so lange Zeit am Leben erhalten, auch bei all ihren Elixieren und Zaubertränken nicht!
Aber ich weiß, dass irgendwann, wenn die Augen, die sehen, alles gesehen haben, der Traumhenker seinen Preis einfordern wird. Der Ring an
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