Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
erleichtert, dass der Drache nicht darauf aus war, ihn zu verschlingen. Er war friedliebend und äußerst vorsichtig, als wüsste er genau, dass jede hektische Bewegung, jeder plötzliche Laut, jede unbedarfte Unachtsamkeit den unmittelbaren Fluchtreflex in jedem Menschen auslösen würde, vor allem in dem, der sich einige wenige Meter vor ihm befand und den er auf keinen Fall erschrecken wollte.
Langsam kam Jonas näher, so nahe, dass er nur seine Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren.
Behutsam drehte der Drache seinen Kopf zurück in seine Richtung und schnaubte leise. Der rasselnde Atem ließ nicht nur den Boden, sondern auch jeden Nerv in Jonas erbeben und ließ alles in ihm rotieren, vor allem seine Blase. Der Kopf des Drachen befand sich lediglich eine Handbreit vor ihm und starrte ihn aus Handteller großen, tiefschwarzen Augen an. Augen, die so schwarz waren, wie unendlich tiefe Brunnen, in die man ebenso tief hineinblicken konnte und die ebenso tief in die Seele eines Gegenüber zu sehen vermochten. Er reckte seine Schnauze vor, langsam und behutsam, so vorsichtig und bei jedem einzelnen Zentimeter darauf bedacht, ihn nicht zu erschrecken oder traute sich nicht, ihn zu berühren. Beinahe überkam Jonas der Verdacht, er wollte ihn küssen.
Heißer Atem schnaubte über seinen Arm und Jonas zuckte leicht zusammen, konnte sich jedoch gerade noch zusammenreißen und davon abhalten, die Flucht zu ergreifen. Der Drache hätte ihn geschnappt, noch ehe er sich auf seinen Fersen hätte umdrehen können. Der heiße Atem verursachte in seinem Inneren prickelnde Schauer, die ihm durch jede einzelne seiner verdammten Adern rannen und seinem absolut verblödeten Anhängsel in seinem Schritt dazu animierten, anzuschwellen.
Noch näher kam ihm die Schnauze des Drachen, berührte ihn an der Brust, dort wo ein vollkommen hysterisches Herz pumpte und eine Lunge saß, die für einen Moment ihren Dienst aufgab. Die Schnauze des Drachen war weich und warm, obwohl der dicke Schuppenpanzer aus schwarzen, glänzenden Schuppenplatten, so groß wie Dachziegel, die seinen gesamten Körper umgaben, hart und kalt wirkten.
Jonas nahm sich eine große Portion Mut, von woher vermochte er selbst nicht zu sagen und bewegte seine Hand nach oben, dort wo die Schnauze erwartungsvoll angehalten hatte und gespannt darauf wartete, dass der Mensch den nächsten Schritt unternahm. Er legte die Hand vorsichtig auf die lange Schnauze, aus welcher lange, scharfe Zähne starrten. Auf der ganzen Welt gab es sicherlich kein zweites Exemplar dieser Art. Konnte auch nicht. Es gab keine Drachen.
Eigentlich.
Die Schuppen des Drachen fühlten sich in der Tat angenehm weich und warm an, irgendwie lebendig, pulsierend, voller Kraft und Macht und dennoch härter als Granit, härter als das härteste Material, das es vermutlich auf der Erde gab. Der Drache drehte die Schnauze leicht zur Seite, als wolle er seinen gewaltigen Kopf an den Arm schmiegen, der sich ihm zitternd entgegen streckte, und schnaubte leise.
„Jetzt muss ich wohl aufsteigen, was?“, sagte Jonas und stellte überrascht fest, dass seine Stimme so gar nicht nach ihm klang. Eher wie die verängstigte, eingeschüchterte Stimme seines kleinen Bruders.
Der Drache schnaubte leise, als hätte er ihn verstanden und drehte den Kopf weiter zur Seite, schob Jonas nahezu auf seinen gewaltigen Leib zu. Jonas gab nach, allein schon weil soviel Kraft in dem Kopf lag, dass er ihn ohne auch nur einmal mit diesen Wimpern zu blinzeln aus den Schuhen hätte schlagen können. „Du bringst mich zu ihm, richtig?“
Der Drache schnaubte abermals und schob seine Pranke näher an ihn heran, damit er besser aufsteigen konnte. Vorsichtig setzte Jonas seinen Fuß auf die gewaltige Pfote und langte nach vorn, um Halt zu suchen und sich auf den Rücken des beeindruckenden Tieres zu schwingen. Er erfasste eine der Schuppen und zog behutsam daran, hielt zögernd inne, aus Angst, dass er dem Tier damit Schmerzen zufügte. Als der Drache nicht reagierte, es ihm offenkundig nichts ausmachte, wenn er sich an den Schuppen in die Höhe zog, packte er fester und kämpfte sich tapfer wie Eragon auf den Rücken des Fabelwesens.
Einmal auf dem Rücken eines Drachen durch die Lüfte zu schweben. Hatte er sich das als Kind denn nicht ständig gewünscht und war mit seinem Steckenpferd, an das er Flügel aus Karton geklebt hatte, durch die Wohnung galoppiert? Bewaffnet mit Plastikschwert und Papphelm, den er im
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