Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
den Dienst. Er blieb stehen.
Der Drache hob langsam seinen Kopf, schnaubte leise und senkte ihn bedächtig ganz tief auf den Boden, als wolle er sich vor dem winzigen Menschen verbeugen oder ihn sich ganz genau von unten bis oben betrachten. Der Falke forderte Jonas mit einem weiteren, etwas leiseren, trotz allem definitiv kommandierenden Schrei auf, näher zu kommen. Jonas musste abermals seine Angst und den dicken, fetten Kloß in seinem Hals hinunterschlucken, ehe er die Gewalt über seine Beine zurückerlangte.
Was auch immer jetzt gerade passierte, es war kein Traum.
Der Drache blinzelte langsam mit Wimpern, die jede Wimperntusche-Werbung in den Schatten stellte.
Ein Drache mit Wimpern, Jonas prustete innerlich los, wenn die Angelegenheit nicht so verdammt brenzlig gewesen wäre.
Je näher er kam, desto besser konnte er das Tier erkennen. Und so bemerkte er auch den beeindruckenden Kamm in dessen Nacken. Ein Kamm aus dicken, schwarzen Federn, jede einzelne so lang und dick wie sein Unterarm, mit Kielen so dick wie seine Finger und dicken, haarigen Federbüscheln, perfekt in seinem Nacken drapiert, in einer geraden Linie von einer Seite des massiven Halses bis zur anderen, wie mit einem Zirkel und einem Lineal entworfen, fast wie bei einem Pfau.
Diese Federn kamen ihm verdammt bekannt vor. Eine solche hatte er im englischen Garten gefunden und sich bei der Rangelei mit Sebastian daran verletzt.
Der Drache saß entspannt und ruhig, zusammengekauert wie ein folgsamer Hund unter der Kastanie, den langen, gezackten Schwanz locker an seine Flanke gelegt und schien geduldig darauf zu warten, dass ihm jemand die Erlaubnis erteilte, aus seiner „Platz“-Stellung ausbrechen zu dürfen.
Erneut schnaubte das Tier und drehte seinen Kopf zur Seite, zu seinem Leib herum, so als wolle er ihn einladen, näher zu treten. Jonas' Herz schlug inzwischen so schnell, dass er die einzelnen Schläge kaum unterscheiden konnte. Es hüpfte mittlerweile so heftig zwischen seiner Hose und seiner Kehle auf und ab, dass er seinen bebenden Leib kaum noch unter Kontrolle halten konnte.
Das Tier bewegte seinen Kopf wieder zu ihm, um ihn anzusehen, worauf Jonas ein weiteres Mal stehen blieb. Nun befand er sich knapp zehn Meter vor ihm. Es brauchte nur rasch vorzuzucken und es würde ihn mit einem Happs verschlingen können. Das Ungetüm verhielt sich jedoch ruhig und gefasst, als könne es keiner Fliege etwas zuleide tun. Es schnaubte leise, vorsichtig, als wolle es den Menschen mit seinem Atem nicht verletzen, klimperte einmal mit den langen Wimpern und drehte den Kopf abermals seinem eigenen Leib zu. Eine weitere Aufforderung näher zu treten und …
… was zu tun? Sich auf ihn zu setzen? Ihn zu reiten, wie ein Drachenreiter aus einem romantischen Fantasie-Abenteuer?
Jonas musste unwillkürlich an den Film denken, in den ihn sein Bruder vor einiger Zeit geschleppt hatte – Eragon. Viel hatte er von dem Film nicht mitbekommen. Er hatte sich nicht die Bohne dafür interessiert. Aus diesem Alter war er längst herausgewachsen. Sebastian zuliebe hatte er ihn begleitet, war jedoch recht bald nach dem Intro in einen absolut gelangweilten, dämmrigen Schlummer geglitten, aus welchem ihn erst der Abspann und die allgemeine Aufbruchstimmung im Kino wieder herausgerissen hatte.
Jonas schluckte. Verlangte der Drache dies von ihm?
Sollte er sich auf ihn setzen und sich von ihm forttragen lassen?
Zu dem Elbenkerl?
Er brannte darauf, diesen Kerl endlich kennenzulernen, ihm endlich persönlich gegenüber zu stehen und Antworten von ihm zu verlangen. Ebenso brannte es ihn danach, selbst zu erleben, was der Kerl in seinen Visionen oft erlebt hatte, diese Hände, diese Lust, diese Begierde, diese heißen Lippen um seinen voll erigierten Penis. So sehr er sich dagegen auch zu wehren versuchte, dieses Verlangen brannte in ihm mehr denn je.
Jonas keuchte erregt und räusperte sich. Sündige Gedanken, schalt er sich. Unmoralische Anwandlungen, während er bald von einem Drachen verschlungen wurde.
Er fuhr sich mit zitternden Fingern, die er kaum unter Kontrolle halten konnte durch seine kurzen Haare, und wagte sich einige weitere Schritte näher. Der Drache schob eine gewaltige Pranke unter seinem massigen Leib heraus. Eine Pranke, die mit Krallen bewaffnet waren, die selbst einem Säbelzahntiger hätten erblassen lassen. Er schob sie vorsichtig und langsam heraus, als wolle er den Menschen nicht verunsichern oder erschrecken. Jonas begriff
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