Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
sanfter, warf die blutigen Tücher in die Spüle und wühlte in den Schubladen der Küche nach einem Pflaster. Zwischen Geschirrtüchern und Wischlappen fand er ein einzelnes Pflaster mit kleinen Kätzchen drauf. Mürrisch knurrend zupfte er dennoch die Schutzfolie mit den Zähnen ab und pappte die Kätzchen auf sein Handgelenk. Anschließend raffte er die blutigen Tücher zusammen, wischte die Tropfen vom Boden auf und warf alles zusammen mit der zerbrochenen Feder in den Mülleimer.
Irgendwann mitten in der Nacht erwachte Jonas und setzte sich verwirrt auf.
Sein Herz schlug schnell, so rasch, dass er die einzelnen Schläge kaum auseinanderzuhalten vermochte, geschweige denn sie zu zählen. Seine Glieder zitterten. Er schwitzte, obwohl ihm ein Kälteschauer nach dem anderen den Rücken hinunter jagte. Seine Hände waren eiskalt und schweißnass. Er keuchte nach Luft. Seine Lungen schrien nach Atem. Frostige Panik stieg in ihm hoch, eisig und brennend, heiß und verzehrend wie Feuer. Ein Feuer, das sich durch seinen gesamten Körper fraß und sich in seinem Unterleib sammelte. Zwischen seinen Beinen begann es prickelnd zu jucken und zu ziehen und sein Penis schwoll an. Eine äußerst seltsame Reaktion, sagte er sich irritiert.
Plötzlich schoss ihm eine Erkenntnis wie ein Blitz durch den Kopf – Blutvergiftung.
Verdammt nochmal! , fluchte er innerlich. Das Zeug aus der Feder hatte ihm vermutlich vielleicht sogar eine Vogelgrippe oder Schlimmeres verpasst. Solange er keine Ahnung hatte, was das für eine Feder gewesen war und in welcher Haut sie vorher gesteckt hatte, konnte alles möglich sein.
Sein Kopf flog zum Schlafsofa herum, dort wo sein kleiner Bruder auf dem Bauch und mit offenem Mund friedlich und leise schnarchte. Das Schlafsofa hatte er sich vor einiger Zeit angeschafft, als sein Bruder öfter einfach bei ihm abgeladen worden war und er wegen des unruhigen Jungen die ganze Nacht nicht hatte schlafen konnte.
Jonas sprang aus dem Bett, wühlte im Müll nach der zerbrochenen Feder, um sie den Ärzten in der Notaufnahme zur Analyse geben zu können, schnappte sich seine Autoschlüssel und eine Jacke, die er sich im Vorübereilen von der Garderobe pflückte und über seinen Pyjama zog und rannte auf die Straße zu seinem Wagen, um auf dem schnellsten Wege in das nächstgelegene Krankenhaus zu fahren. Er hatte Glück, nicht von einem Blitzer oder einer zufällig anwesenden Polizeistreife entdeckt zu werden, als er sämtliche Verkehrsregeln, rote Ampeln und Stoppschilder missachtend durch das nächtliche München raste.
Nachdem er relativ rasch an der Empfangstheke der Notaufnahme erfasst wurde, durfte er dennoch geschlagene zwei Stunden im Warteraum der Notaufnahme verbringen, ehe ein Arzt für ihn Zeit hatte. Dieser untersuchte ihn genauestens, reinigte und desinfizierte die Wunde, verpasste ihm eine Tetanusspritze und ein neues Pflaster – ohne süße Kätzchen – und nahm ihm sogar eine Ampulle Blut ab. Alle Ergebnisse und Untersuchungen, selbst die der Feder, brachten jedoch kein Ergebnis. Der Arzt beruhigte ihn, sprach von einer harmlosen Panikattacke, ausgelöst durch den Schreck, als ihn die Feder stach. Nebenbei belehrte er ihn zudem über Panikattacken, welche in den letzten Jahren häufiger auch bei jüngeren Leuten, bedingt durch Stress und Mobbing vorkamen. Beruhigter kam Jonas gegen sechs Uhr morgens zurück nach Hause und fiel todmüde ins Bett. Diese ganze Aktion hatte ihn nicht nur zehn Euro Notaufnahmegebühr, sondern obendrein auch noch eine ganze Nacht Schlaf gekostet.
Es fiel ihm schwer, seinen kleinen Bruder nicht mit bloßen Händen umzubringen, als dieser gegen neun Uhr in der Früh in sein Bett sprang und ihn jäh und brutal aus dem Schlaf riss.
„Wann gehen wir ins Museum?“, krähte Sebastian munter, sprang auf dem breiten Bett herum und machte es unmöglich, dass Jonas wieder einschlafen konnte. Resigniert krabbelte er schließlich aus dem Bett und verbrachte einen dennoch vergnüglichen Tag mit seinem Bruder und jede Menge alter und neuer Autos.
König Daräim erhob sich, als sein Sohn den Saal betrat, welcher ihm beim Abendessen Gesellschaft leisten sollte. Er hatte sich nicht von seinem Stuhl erhoben, um dem jungen Prinzen seine Ehrerbietung zu erweisen, sondern weil ihm Gerüchte zu Ohren gekommen waren, die ihn sehr beunruhigt hatten. Er umrundete die Tafel und marschierte an den anderen Gästen vorüber, ohne sie näher zu beachten. Für ihn zählte nur
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