Drachenflamme: Roman (German Edition)
schreckte er wieder hoch. Er beschnüffelte ängstlich das Ei und vergewisserte sich, dass es ihm gut ging, und schon schlich der böse Feind Schlaf ein weiteres Mal heran.
Er war so müde. Und dann kam Laurence, der gute Laurence, legte ihm eine Hand auf das Vorderbein, kletterte hinauf und setzte sich neben das Ei. »Bitte versuche doch, so viel Schlaf zu bekommen, wie es geht«, sagte er. »Ich kann mich morgen ausruhen, während du fliegst.«
»Danke, Laurence, das würde mich sehr beruhigen«, sagte Temeraire aus tiefstem Herzen, und endlich hieß er den Schlaf willkommen. Er schloss die Augen nach einem letzten, tröstlichen Blick auf das Blitzen von Laurence’ gezücktem Degen, der über seinen Knien lag, weil er ihn schärfen wollte, und schon war er eingenickt.
Am Morgen jedoch war der Zorn, der sie angetrieben hatte, verflogen. Alles, was übrig geblieben war, war ein Gefühl des trüben, bohrenden Elends und des Versagens. Dazwischen mischte sich die Gewissheit, dass die Suche weitergehen musste, so ergebnislos sie auch blieb, bis das endgültige Schicksal – wie entsetzlich es auch sein mochte – geklärt worden war. Temeraire beschnupperte das letzte, kleinste Ei, um sich selbst zu trösten. Er glaubte zu spüren, dass es sich zu verhärten begann und schon bald nicht mehr in Gefahr sein
würde. Das Schlüpfen konnte nicht schnell genug einsetzen, wenn es nach ihm ginge.
»Vielleicht magst du dich ja ein bisschen beeilen«, flüsterte er dem Ei leise zu, »aber natürlich nicht so, dass du dir irgendwie schadest. Nur wenn du hungrig bist oder vielleicht Lust verspürst, ein bisschen herumzuflattern, dann könntest du lieber früher als später herauskommen.«
Iskierka lief währenddessen mit unruhigen, kurzen Bewegungen hin und her, wobei ihr langer, zusammengerollter Schwanz hinterherschleifte, wenn sie ihren Körper abrupt drehte, und sich noch eine Zeit lang in die ursprüngliche Richtung neben ihr weiterbewegte, bis sie ihn mit einem energischen Ruck wieder hinter sich beförderte. »Was ist denn jetzt?«, fragte sie. »Lasst uns endlich aufbrechen; es wird schon wieder hell.«
Es war allerdings noch nicht vollständig hell; genau genommen war der Himmel gerade erst so blass geworden, dass sich Iskierkas Silhouette schwarz vom Horizont abhob und die schwachen, weißen Dampfwölkchen, die aus ihren Stacheln aufstiegen, zu erkennen waren. Doch trotzdem mussten die Männer an Bord gebracht werden: Die Sonne schob sich eben hinter dem Horizont hervor, als sie endlich wieder starteten, und sie flogen dem Sonnenlicht entgegen, noch ehe der erste Strahl die Erde getroffen hatte.
Sie mussten eine Weile suchen, ehe sie ihren ursprünglichen Pfad wiederfanden, und waren mehrere Male gezwungen zu landen, damit Tharkay nach Spuren suchen konnte. Die ständigen Verzögerungen schlugen ihnen sehr aufs Gemüt, aber Temeraire verkniff sich alle Klagen, die ihm auf der Zunge lagen. Er begriff, dass sein eigenes und Iskierkas Beharren darauf, die Suche auch in der Nacht fortzusetzen, es für Tharkay unmöglich gemacht hatte, den Weg im Auge zu behalten. Er sagte sich, er dürfe nicht ungerecht sein, und als sie die vierte Pause dieser Art einlegten, erklärte er Iskierka: »Die Chancen,
das Ei zu finden, werden so viel kleiner sein, wenn wir den Weg völlig verlieren. Diese Unterbrechungen sind durchaus sinnvoll, und wir verschwenden keine Zeit, wirklich nicht, sondern gewinnen sie.«
»Ja, ja«, winkte Iskierka ab. »Ist er denn immer noch nicht fertig? Was dauert das denn so lange, wenn er doch nur ein bisschen auf den Boden starrt? Und warum gibt es hier überhaupt so viele Bäume?«
»Da es in der Tat so viele davon gibt, könntest du mich doch mal runterlassen, damit ich mich in ihrem Schatten ein wenig ausruhe. Mir ist schon wieder furchtbar heiß«, mischte sich Caesar von Temeraires Rücken herunter ein, denn man hatte ihm strengstens eingeschärft, dort oben zu bleiben. Temeraire glaubte, er habe aus Empörung darüber über Nacht weitere fünfunddreißig Kilo zugenommen, nur um eine noch größere Plage zu werden.
Es war sehr unangenehm, eine so stark bewaldete Gegend eilig zu überfliegen. Sie hatten inzwischen die Berge passiert, und nun gab es überall nichts als Bäume. Man konnte schauen, so weit es einem möglich war, ohne einen Einschnitt zu entdecken, wenn man vom Fluss absah, der unter ihnen nach Süden und nach Westen floss, weg vom Ozean. »Er muss zur südlichen Küste
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