Drachenflamme: Roman (German Edition)
verlorenen Eies zu stellen. Jedes fremde Gebiet ist gefährlich, vor allem, da wir ohne Führer unterwegs sind. Um ein Haar hätten wir alle hier ein Ende gefunden, und mehr als ein Mann aus unserer Gruppe hat bereits ein schlimmes Schicksal erlitten. Mit jedem Augenblick, den wir weitersuchen, setzen wir das letzte Ei aufs Spiel. Nur die Aufbietung unserer letzten Kräfte konnte es vor der eben erlebten Katastrophe retten. Wenn wir eine zweite dieser Art erleben würden, könntest du dann ernstlich behaupten, dass deine augenblickliche Kraft ausreichen würde, auch diese zu bewältigen?«
Temeraire schwieg und hatte den Kopf tief über das letzte, das winzige Ei gebeugt. Laurence konnte einen heftigen Anflug von Gewissensbissen nur mühsam unterdrücken. Es war zutiefst unfair, Temeraires Gefühle so gegen ihn selbst zu verwenden, und es hatte
einen unehrenhaften Beigeschmack. Und doch verspürte Laurence keinen Moment lang den Wunsch, seine Worte zurückzunehmen, wenn eine solch gemeine Methode Temeraire dazu bringen würde, die Ruhe einzuhalten, die so wichtig für die Wiedererlangung seiner Gesundheit war, auch wenn dafür tausend Eier im Sand zerschellen würden.
»Sobald du dich ein wenig erholt hast«, sagte Laurence, »und das Feuer sich gelegt hat, werden wir mehr Möglichkeiten haben, die Spur wiederaufzunehmen. Wenigstens einen Vorteil hat das Ganze: Das Feuer hat einen Großteil der Landschaft dem Erdboden gleichgemacht, was uns die Suche später erleichtern wird.«
»Und es hat auch die Spuren zerstört«, fügte Temeraire traurig hinzu. »Ich weiß nicht, wie wir sie je wiederfinden sollen, wenn wir jetzt abwarten. Aber ich glaube, ich mache mir ohnehin etwas vor. Vielleicht sind auch alle mitsamt dem Ei umgekommen. Die Spuren sind vernichtet, daran lässt sich nichts ändern. Oh!«, jammerte er. »Ich bin so froh, dass wir niemals nach England zurückkehren werden, Laurence. Ich glaube kaum, dass ich Cantarella jemals wieder in die Augen schauen könnte.«
Temeraire nahm die Flügel hoch, versteckte seinen Kopf darunter und sagte kein weiteres Wort mehr. Laurence legte ihm die Hand auf seine Nüstern in der Hoffnung, dass diese stumme Geste des Mitgefühls ihm Trost spenden würde. Dann ging er sein Schreibzeug holen und setzte sich neben Temeraire in die halbdunkle, überdachte Höhle, die unter seinen gewölbten Flügeln entstanden war; das Licht, das durch die durchscheinende Haut der Schwingen gefiltert wurde, hatte einen hellen, bläulichen Grauton. Laurence führte während der Reise ein Logbuch – eine Angewohnheit aus den Zeiten seines Militärdienstes. An diesem Tag notierte er:
Unser genauer Aufenthaltsort ist noch immer ungewiss: Wir wurden stark von unserem Weg abgebracht, und wir können uns nicht orientieren,
ehe es nicht Mittag geworden ist, falls die Sonne sich dann zeigen sollte. Im Augenblick ist sie hinter dichtem Nebel verschwunden. Wir haben unser Lager neben einem Bach aufgeschlagen, aber das könnte genauso gut das gleiche Bett sein, das wir vor zwei Tagen völlig ausgetrocknet vorgefunden haben. Davon kann nun nicht mehr die Rede sein, weshalb ich das Gewässer noch nicht in die Karte aufgenommen habe. Ich hoffe, wir werden bald den Weg zurück nach Sydney finden, sobald Dorset glaubt, dass Temeraire einer solchen Anstrengung wieder gewachsen sein wird .
Danach schrieb er an Jane. Er nahm einen neuen Briefbogen, den er jenem beilegen wollte, den er bereits verfasst hatte. Eine so unangenehme Aufgabe wie das Überbringen der Nachricht, dass das Ei verloren gegangen sei, konnte er nicht einfach auf Granby abwälzen, dachte er. Auch wenn das Ei in England wenig geschätzt gewesen war, so war es hier doch etwas Unbezahlbares, denn schließlich würde die lange Überfahrt jedes Senden von zusätzlichen Eiern erschweren. Und falls Jane sich mit neuen kriegerischen Auseinandersetzungen in Spanien beschäftigen musste, dann würde sie noch weniger erfreut darüber sein, weitere Eier an die sehr ungewisse Zukunft eines Zuchtgeheges auf diesem neuen Kontinent abtreten zu müssen.
Im Lager war es still, wenn man vom Husten absah. Immer mal wieder nippte sogar Laurence an einem Grog, denn das heiße Getränk linderte ein wenig die Schmerzen in seiner rauen Kehle. Seine Glieder waren schwer, und obwohl so viel Wild zur Verfügung stand, wollte er nichts zu sich nehmen außer ein wenig Zwieback, den er in Wasser aufgeweicht hatte, damit er leichter zu schlucken war.
Niemand
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