Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
diesen Worten verschwand er zwischen einigen raschelnden Zweigen und ließ eine betretene Stille zurück. Nach einigen unschlüssigen Minuten machten sich William und Lilly schließlich auf, um die nähere Umgebung zu erkunden und vielleicht etwas Essbares zu finden.
Was Rasputin Borkenschreck den anderen sorgsam verschwieg, war die Tatsache, dass der Großteil transimaginärer Wolpertinger zu einer ganz bestimmten Zeit entstanden war. Es handelte sich bei ihnen gewissermaßen um das persönliche Frühwerk Kilian Hölzlhammers. Damals hatte es noch einige besonders forsche Wolpertingeristen gegeben, die ihre Erzähler vor überschießendem Tatendrang buchstäblich zu Tode erschreckten. Transimaginäre Wolpertinger wurden daher von ihren Artgenossen meist aus einer Art des schlechten Gewissens heraus gemieden.
Nichtsdestoweniger besaß jeder von ihnen ein besonderes Merkmal, das all seine unterschiedlichen Erscheinungsformen verband. Manche verwandelten sich ausschließlich in schaurige Mixturen aus Ratten, Fledermäusen und ähnlichem. Andere waren ungeheuer stark. In Rasputins Fall handelte es sich um den wenig hilfreichen Umstand, in jeder Form ausgesprochen plüschig zu wirken.
Als Auguste alle Brennnesseln und Sträucher ausgezupft hatte, las sie noch einige kantige Steine vom Boden auf und warf sie in das nächste Gebüsch. Dann kletterte sie auf den Felsen vor der Nische und betrachtete den Himmel. In der Ferne flogen immer noch seltsame Dinge, die den Wald mit Kegeln aus Licht abtasteten. Selbst hier konnte man ihren Lärm hören, wenn er auch zu einem fernen Brummen herabsank. Einen großen Teil des Weges hatten sie sich vor diesen Dingern versteckt, nun schienen sie außerhalb ihrer Reichweite zu sein.
Endlich.
Sie seufzte und kletterte wieder hinab. Wieder musste sie an die Worte Eulalias denken, und etwas in ihr krampfte sich zusammen. Alle waren verschwunden, aber sie war wieder aufgetaucht. Und hier waren noch ein paar andere.
In diesem Augenblick kehrte Rasputin zurück. Er hatte tatsächlich ein wenig Brennbares gefunden, wenn es sich dabei in der Hauptsache auch um trockene Dornenranken und kleinere Zweige handelte. Zumindest konnte man ein Feuer damit in Gang bringen.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, dann kehrten auch die anderen zurück. William hatte einige Beeren gefunden und Lilly zwei magere Tauben mit dem Umstand vertraut gemacht, dass ihre Nester mitnichten sicher waren, nur weil sie sich ein paar Meter über dem Boden befanden. Das ergab zwar insgesamt keine allzu üppige Beute, doch verglichen mit ihrer Ausgangssituation war es eine deutliche Verbesserung.
Der Mond kroch gerade über den Horizont hinweg, als die vier um ein munteres kleines Feuer herumsaßen und dabei zusahen, wie das spärliche Fett der Tauben in die Flammen tropfte.
„Jahrhunderte also, sagst du?“, nahm William das Gespräch wieder auf. Während der Wanderung hatte Auguste bereits versucht, die meisten der stürmischen Fragen zu beantworten, was nicht ganz leicht war. Die Hexe blickte in die Flammen und nickte.
Auch der Kobold stierte für einen Moment in die Glut, dann hob er den Kopf, und etwas Seltsames leuchtete in seinem Blick.
„Was soll’s – damals konnte uns sowieso niemand leiden.“ Über sein Gesicht huschte ein aufmunterndes Lächeln. Er drehte sich zur Seite, nahm ein Stück Borke, auf das er die verschiedenen Beeren gelegt hatte und stellte es in die Mitte des Kreises. Dann stand er auf, nahm den Spieß vom Feuer und machte sich daran, die Vögel zu zerteilen. Auguste beobachtete ihn aufmerksam.
Lilly verschwand für einen kurzen Augenblick im Dunkel außerhalb des Feuerscheins und kehrte dann mit vier flachen Steinen zurück, die sie zuvor gründlich geschrubbt hatte. Der Kobold legte das Fleisch darauf, und sie verteilte die Teller.
Eine Weile kauten alle schweigend vor sich hin. Schließlich lehnte der Kobold seinen Rücken gegen die Felswand, betrachtete zufrieden den Feuerschein, der sich in den goldenen Spangen seiner Schuhe spiegelte, und begann damit, eine Pfeife zu stopfen. Zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, wirkte William friedlich. Seine Augen huschten nicht mehr beständig hin und her, er knackte nicht mit den Fingerknöcheln, selbst der wilde Haarschopf auf seinem Kopf und die dicken Büschel, die aus seinen Ohren ragten, wirkten weniger struppig. Innerlich jedoch schien er sich bereits mit anderem zu befassen.
„Also: Wie wollen wir uns für den heutigen Tag
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