Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
kurzem vor der eigenen Haustür anzutreffen.
Da aber in der Regel niemand Wert darauf legte, neben der Morgenmilch etwas zu finden, das mehr Köpfe als Hände hatte, konnte auch Gnoor den Schrecklichen eigentlich niemand leiden. Doch den scherte das wenig, denn er war ohnehin von griesgrämiger Natur. Der einzige Grund, warum er sich überhaupt in diesen Breiten halten konnte, war ein Abkommen, das er mit Graf Sigismund von Käferstein traf. Der Zauberer erklärte sich bereit, den libidinösen Abenteuern des Grafen mit gewissen Mittelchen auf die Sprünge zu helfen, und empfing dafür persönlichen Schutz. Dieser Pakt fand allerdings ein rasches Ende, als Gnoor vor lauter Übermut im gräflichen Schlafgemach eines der eigenen Geschöpfe versteckte.
Sobald der Zauberer jedenfalls Auguste bemerkte, begrüßte er sie mit einem prasselnden Feuerball. Keuchend hechtete Rasputin zur Seite, während alles ringsumher in Flammen aufging. Triumph leuchtete in den Augen des bösen Magiers, während sein meckerndes Lachen über die Lichtung schallte. Kurz darauf trat die Hexe unversehrt und mit angewinkelter Augenbraue aus dem Feuer heraus. Mit ein paar tüchtigen Ohrfeigen brachte sie Gnoor den Schrecklichen wieder zur Räson.
Schon eine ganze Weile vor diesem bedauerlichen Zwischenfall hatten sich die Wege der Hexe und des Wolpertingers von denen ihrer Begleiter getrennt. Doch das war immerhin freiwillig geschehen. Kurz vor der Mittagszeit begaben sich die vier im Schutze der allgemeinen Verwirrung in die Nähe der Klosterschule von Borkenweiler. Es handelte sich um ein ehrwürdiges Institut, das den Eltern seiner Schüler versprach, ihre Schützlinge durch jahrhundertelange Tradition und vor allem durch dicke Mauern vor den moralischen Fährnissen der Welt zu behüten.
Dieses Versprechen war freilich ein einseitiges – und da man mit den Schülern eine wesentliche Vertragsseite außen vor ließ, dauerte es nicht lange, bis die vier auf einen Schlupfweg stießen. Im Schutz eines überbordenden Ginsterbuschs fand sich ein abgewetzter Holzpfahl an die Mauer gelehnt. Unter Hinzufügung einiger Querlatten ergab dieser eine primitive Leiter und führte sie auf der anderen Seite wiederum in ein Gebüsch.
Von dort war es nur ein kurzer Weg bis ins Innere der Schule. Vorsichtig tappten sie die ordentlich geschrubbten Kacheln eines langen Flures entlang und lauschten links und rechts an den Türen. Schließlich blieb Lilly vor einer von ihnen stehen. Sie flatterte zum Schlüsselloch empor, schaute hindurch und gab den anderen kurz darauf ein Zeichen. Wenig später hielt William vor einer anderen Tür an und winkte Rasputin und Auguste zu sich.
Das Folgende geschah dann außerordentlich schnell: Eine etwas in die Jahre gekommene Nonne nahm soeben neuen Anlauf, die tieferen Geheimnisse der Arithmetik in die widerstrebenden Köpfe ihrer Schüler zu quetschen. Plötzlich bemerkte sie, wie die Tür ihres Klassenzimmers implodierte.
Herein kam eine unübersichtliche Wolke verschiedener Gliedmaßen. Deren genaue Zusammensetzung ließ auf eine etwa dreißigjährige Frau schließen, sowie drei Gestalten, die das Weltbild der Nonne noch eine Weile beschäftigen würden.
Das Letzte, was sie sah, war das sich schnell nähernde Ende eines hölzernen Tafelzirkels. Und kaum, dass ihr bewusstloser Körper zu Fall kam, packten William, Rasputin und Auguste zu und zerrten sie in die von Lilly geöffnete Abstellkammer.
Dort angekommen traf William sogleich Anstalten, der bewusstlosen Nonne aus ihrem Gewand zu helfen. Bevor er jedoch noch dessen Saum berührte, erstarrte der Kobold plötzlich. Sehr interessiert beobachtete Auguste, wie er unter dem mahnenden Blick seiner Frau zusammenschmolz. Einen kurzen Augenblick schaute er schuldbewusst zu Boden, machte dann auf dem Absatz kehrt und zog den überraschten Rasputin hinter sich zur Tür hinaus.
Lilly brummte zufrieden, rieb sich die Hände und ging daran, den Kleiderwechsel einzuleiten. Nach und nach reichte sie Auguste verschiedene Textilien und bewies großes Geschick darin, die Nonne in die jeweils nötige Position zu wuchten. Als sie deren Unterwäsche erblickte, konnte sie sich ein leises Schaudern nicht verkneifen.
„Nun ja, haltbar.“
Skeptisch betrachtete Auguste das schwarze Gewand. Auf ihrer Stirn malten sich Sorgenfalten.
„Ich hoffe nur, dass uns das Ganze auch etwas nützt.“
Überrascht hielt Lilly inne.
„Gestern Abend schienst du noch recht überzeugt.“
„Schon,
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