Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
boshaft-verschmitzte Wechselbälger blieben zurück, um ihre vermeintlichen Eltern zu plagen.
Einen allein gab es, der selig lächelnd inmitten dieses Strudels aus Schrecken und Verwirrung saß. Leonardo de Vendetta thronte in seinem Kommandozelt auf dem Schinkelstedter Marktplatz und blickte einer goldenen Zukunft entgegen. Man hatte ihn informiert, dass der Bürgermeister die Armee alarmiert habe, doch das scherte ihn wenig. Bevor die eintraf, würde alles vorüber sein. Bis dahin blieb er der einzige Befehlshaber auf dem Plan – und zugleich einer der wenigen, die je über die Truppen beider Seiten zugleich geboten.
Wenn Anastasius XIII. am Abend eintraf, würde ihm wenig mehr zu tun bleiben, als die Seelen der Verängstigten einzusammeln und zurück in den Schoß der Kirche zu
führen. Fast alle Aspekte des Projektes „Remagikalisierung“ waren umgesetzt. Und auch den Rest würde kaum noch etwas aufhalten.
Derweil liefen die Kämpfe draußen fort. Da sich unter den Fabelwesen auch manch zauberkundiges befand, dauerte es nicht lange, bis erste Feuersäulen durch das Blätterdach schossen. Mehrere Priester, die ihre Studien vernachlässigt hatten, sahen sich mit den Folgen unfreiwilligen Gestaltwandels konfrontiert. Einige von ihnen gerieten einer gewissen Jugendbewegung in die Hände, die ihr Glück an diesem Tag kaum fassen konnte.
Doch insgesamt war bald absehbar, welchem Ende die Schlacht zustrebte. Während die Zahl der Priester noch immer zunahm, wurden die gefangenen Fabelwesen bereits wieder in merkwürdig anmutende Karren verladen. Rumpelnd setzten sich diese in Bewegung und verschwanden alsbald auf unscheinbaren Pfaden, die man von der Öffentlichkeit sorgfältig abschirmte. Nur einige besonders exotische oder schwer mitgenommene Fabeltiere blieben zurück, um sie am Abend einer Reihe von Schauprozessen zu unterziehen.
Der unangefochtene Höhepunkt des ganzen Spektakels aber war, als zur Mittagszeit ein Drache erschien. Niemand konnte sich erklären, woher er plötzlich kam. Es hatte in dieser Gegend nie einen Drachen gegeben, zumindest nicht so weit Auguste und Rasputin sich erinnern konnten.
Ohnehin war es vermutlich das altersschwächste Exemplar, das man je gesehen hatte. Er war auch nicht sonderlich groß, wirkte eher wie ein überheblicher Leguan. Doch das Schimmern seines Panzerkleides strahlte eine gewisse Würde aus. Weithin hallte der Schlag seiner ledernen Schwingen, während er majestätisch die Wolken zerpflügte.
Dieser erhebende Anblick währte allerdings nicht lange. Die Menschen kauerten sich noch zusammen oder warfen sich wehklagend zu Boden, als plötzlich und ebenso unerwartet wie der Drache selbst einige Hubschrauber erschienen. Asthmatisch keuchte das Untier einige Rußwolken hervor, dann nahmen sie es mit Weihwasserwerfen aufs Korn. Anschließend wickelten sie es mit einem Netz ein, das einer überdimensionierten Aalreuse glich, woraufhin der nunmehr flugunfähige Drache wie eine zwar märchenhaft schimmernde, aber ansonsten doch recht prosaische Presswurst vom Himmel fiel.
Am Ende der Abwärtsbewegung klatschte er direkt in die Schinkelstedter Karpfenteiche – wo er unter dem Jubel der Bevölkerung versank und anschließend ebenfalls von den Wassermännern verwamst wurde.
Danach ebbten die Kämpfe langsam ab.
Als Auguste und Rasputin allmählich ihr Ziel erreichten, waren sie hingebungsvoll erschöpft. Das Kleid der Hexe verfügte über mehrere Brandlöcher, und der kleine Wolpertinger wirkte traumatisiert.
Grund dafür war eine Begegnung mit Gnoor dem Schrecklichen. Auch dieser verfügte über einen persönlichen Druden-Eintrag. Allerdings nur einen ziemlich kleinen. Gnoor der Schreckliche war ein hageres, schmutziges Männlein, das von sich behauptete, der fieseste Zauberer des ganzen Abendlandes zu sein.
Das war natürlich reine Übertreibung. Gegen Grablok den Grauenhaften oder den Finsteren Fred verblasste er kläglich – aber wie die meisten Menschen, die aus anderen Leuten Fett herauskochen, um daraus absonderliche Kerzen zu ziehen, war Gnoor zumindest ein schlechter Nachbar.
Seine Hütte befand sich am Rande eines kleinen Sumpfes. Stets sah man aus ihr des Nachts ein ungesundes, grünes Licht schimmern. Dazu vernahm man krächzende Gesänge, die einem das Mark gefrieren ließen. Das Schlimmste aber war, dass Gnoor seine Arbeit nicht für sich behielt. Was für merkwürdige Kreaturen er auch beschwor oder zusammenzimmerte: Man konnte sicher sein, sie binnen
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