Drachenfluch1: Zauberschmiedekunst (German Edition)
völlig selbständig denken und handeln kann.“
„Warst du es nicht, der solche Befragungen als sinnlose Grausamkeit immer abgelehnt hat?“ Überrascht zog Uray eine seiner buschigen schwarzen Augenbrauen hoch. Auf Bitten von Islor, Yaris’ Vater hatte er ihn in die Zauberschmiedekunst eingeführt, dabei aber, der Familientradition folgend, auf einen minderen Bindungszauber verzichtet hatte. Wurde er behutsam durchgeführt, konnte er ein geistiges Band zwischen zwei Menschen schmieden, die beide davon profitierten und das Lehren und Lernen für sie stark vereinfachte. In solchen Fällen war die Bindung keine Versklavung und jederzeit von beiden Seiten zu trennen. Leider misslang das allzu oft, aus Ungeschick oder mehr oder weniger unbewusstem Streben nach absoluter Macht über einen Menschen. Zu viele Zaubererlinien waren in der Vergangenheit dadurch zugrunde gegangen, dass sie durch geistige Versklavung ihrer Schüler und Schülerinnen seelenlose Monster erschaffen hatten, die nach dem Tod ihrer Meister unaussprechliche Gräueltaten begingen, bis sie sich und die Welt durch ihren Selbstmord erlösten oder ermordet wurden. Heutzutage waren besorgniserregend wenige Zauberschmiede verblieben, durch Fehden und Kriege untereinander hatte die Anzahl sich noch weiter dezimiert.
Aus diesem Grund hatte bereits Yaris’ Vater dafür gesorgt, dass die Enzyklopädie nicht wieder kopiert werden durfte und das letzte Exemplar in ihrer Obhut verblieb. Jemand wie Callin könnte mit der Macht des Wissens, das dieses Buch schenkte, die halbe Welt zerstören!
Seit der Zerschlagung des Siebten Magierzirkels hatte es glücklicherweise kein Kriegsgeschehen mehr gegeben, in dem sich hunderte von ihnen gegeneinander verbündeten. Lediglich einzelne Fehden waren nicht zu vermeiden, forderten aber weniger Opfer. Wäre der unselige Fluch nicht, müsste man sich keine Gedanken machen, dass ihre Rasse in einigen Jahrzehnten ausgestorben sein könnte …
„Ich halte es grundsätzlich für besser, die bedauernswerten Sklaven zu erlösen“, erwiderte Yaris mit einiger Verzögerung auf Urays Frage. „Doch dieser Mann bietet die Gelegenheit, die Wirkung des Bindungszaubers näher zu studieren. Er ist ein Mischling, ein halber Nordländer. Vielleicht ist er es, der uns lehren kann, die Bindung zu lösen, ohne das Opfer umzubringen oder seinen Verstand zu zerstören. Die Nordleute sind widerstandsfähig, Mischlinge stets besonders robust und Callin hatte kaum Zeit, ihn zu prägen. Es hat mir stets auf der Seele gelastet, diese schuldlosen Männer töten zu müssen, um ihnen weiteres Leid zu ersparen.“
Unbewegt blickte Uray dem jungen Mann hinterher, der sich gerade gemächlichen Schrittes vom Marktplatz entfernte, der sich vor den Mauern des Stadthauses befand.
„Er zeigt Klugheit, Eigeninitiative und mehr Geduld als jeder Sklave vor ihm. Die meisten waren nach solch langer Trennungszeit bereits krank vor Sehsucht nach ihrem Herrn, während er keinerlei Symptome zeigt. Ja, du hast recht, Neffe. Vielleicht können wir von ihm lernen, zum Wohle so vieler anderer.“
„Schick Ilajas, der soll ihn heute Nacht unauffällig gefangen nehmen. Ich will keinen Tumult, er soll den Wirt der Herberge großzügig entlohnen.“
„Wie du wünschst, Yaris.“
Urays Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was er von diesen Plänen hielt, trotz seiner Zustimmung. Es wunderte Yaris ein wenig, doch letztendlich war es ihm gleichgültig. Vielleicht lag es an Ilajas, sein Vetter hasste es, zu solchen Aufgaben herangezogen zu werden. Es war tatsächlich riskant, eine Entführung zu organisieren, das Risiko musste er einfach eingehen. Möglicherweise war Jiru der Mann, auf den er fast sein ganzes Leben lang gewartet hatte …
Jiru kniete vor dem Nahibpriester, der segnend die Hände über ihn hielt. Jeder, der die Bibliothek des Tempels nutzen wollte, musste sich erst einer Reinigung von Körper und Geist unterziehen. Er kannte das aus seiner eigenen Zeit als Schüler im Tempel und wusste um die wahren Hintergründe – man wollte vermeiden, dass jemand mit schmutzigen Händen die kostbaren Pergamente berührte, denn nicht nur die Armen in den Elendsvierteln waren häufig nachlässig mit der körperlichen Pflege, obwohl es an jeder Ecke Möglichkeiten zum Waschen gab und die Wanderheiler sowie sämtliche Priester aller Gottheiten Reinlichkeit predigten. Diebe wollte man damit abschrecken, dass Nahib aufgrund der Segnung genau wusste, wer alles in die
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