Drachengasse 13, Band 02
Lehrer für Geisterkunde, war ein Geist und musste nicht schlafen. Das hatte zur Folge, dass er sich nachts, wenn auch der letzte Kollege zu Bett gegangen war, für gewöhnlich zu Tode langweilte – oder vielmehr zu Tode gelangweilt hätte , denn er war ja schon tot. Jedenfalls war er stets für jede Art von Ablenkung dankbar, und das wollte Hanissa ausnutzen.
Verstohlen näherte sie sich dem imposanten Schrank im Korridor, in dem Huibur wohnte. Fleck beschnüffelte das alte Möbelstück misstrauisch.
„Sei brav, Fleck “ , ermahnte Hanissa ihn, dann klopfte sie an.
„Herein “ , drang die Stimme des Lehrers für Geisterkunde durch die Tür.
Hannissa öffnete die linke Schranktür und trat ein. Für einen Schrank war ziemlich viel Platz im Inneren, für eine Wohnstube ziemlich wenig. Allerdings lebte Magister Huibur auch recht genügsam. Außer einem kleinen Gemälde an der Wand, das ihn selbst zu Lebzeiten zeigte, einer Kommode mit einem Teeservice sowie ein paar Büchern besaß er nichts.
Der Geist schwebte wie immer einige Handbreit über dem Boden in der Luft. Ein bläulicher Schein ging von ihm aus, und er war fast durchsichtig. „Gute Nacht, Hanissa “ , begrüßte er sie. „Wir haben uns ja eine Weile nicht mehr gesehen. Oh, ist das da dein neuer Drache ?“
Sie nickte. „Sein Name ist Fleck .“
„Freut mich, freut mich. Was führt euch zu mir ?“
„Ich wollte Euch mal wieder besuchen, Magister Huibur .“
Huibur strahlte. „Wie nett von dir, mein Kind. Möchtest du eine Tasse Spinnenbeintee ?“
Hanissa schauderte allein beim Gedanken daran, aber sie nickte tapfer. „Sehr gerne, aber bitte nur eine halbe Tasse. Meine Mutter sagt immer, man soll nachts nicht so viel trinken. Das ist ungesund .“
Das war natürlich erfunden, aber Huibur wusste es sicher nicht besser. Er schenkte dem Mädchen von der dampfenden Flüssigkeit ein, die so weißlich war wie Pflanzensaft. Glücklicherweise schwammen keine Glieder irgendwelcher Krabbeltiere darin herum. Doch der Tee schmeckte so bitter, dass Hanissa sich zusammenreißen musste, um nicht das Gesicht zu verziehen.
Nachdem sie ein paar Minuten mit Huibur über Belangloses geplaudert hatte, kam Hanissa schließlich zur Sache. „Sagt, Magister Huibur, was könnt Ihr mir über Geister erzählen ?“
Der alte Geist lachte. „Mein liebes Kind, diese Frage ist so ungenau, dass ich sie nur genauso ungenau beantworten kann: beinahe alles .“ Er beugte sich neugierig etwas näher. „Was genau möchtest du denn wissen ?“
„Na ja, wie entstehen Geister beispielsweise? Was für Arten gibt es? Können Geister den Lebenden etwas antun? Und was macht man dagegen ?“
Die Augen des Lehrers für Geisterkunde wurden groß. „Gute Güte, das sind keine Fragen, die sich bei einer Tasse Tee beantworten lassen. Ich halte ganze Seminare zu solchen Dingen .“
„Könnt Ihr mir nicht wenigstens einen Überblick geben ?“ Hanissa tat so, als blickte sie verschämt zu Boden. „Ich möchte einen Freund damit beeindrucken .“
„Aha, oho “ , machte Kaspar Nekrominus Huibur und kicherte heiser. „Nun, dann will ich sehen, was ich für dich tun kann. Komm mit. Wir gehen in meinen Vorlesungssaal – für etwas Geisterkunde zur Geisterstunde … “
„Die Welt der Toten ist beinahe so abwechslungsreich wie die Welt der Lebenden “ , sagte Huibur, während er mit stolz erhobenem Kopf hinter seinem Rednerpult hin und her schwebte. „Ein Unwissender mag denken: Geist ist Geist. Aber das stimmt nicht !“
Huibur, Fleck und Hanissa befanden sich im obersten Stockwerk eines der Universitätstürme, in dem Hanissa noch nie gewesen war. Nur Studenten der höheren Semester wurden hier unterrichtet. Es fühlte sich fantastisch an, selbst einmal auf einer der Bänke zu hocken und den Worten eines Magisters zu lauschen.
„Es gibt Dutzende, ach was, Hunderte von Geistern “ , fuhr Huibur fort. „Phantome, Nachtgespenster, Schemen, Naturgeister, Weiße Frauen, Schwarze Männer, Schleimgeister, Gruselinge, Nachtmahre, Dschinne, Spektraltiere und noch mehr … “
Bei jedem Wort vollführte der Lehrer für Geisterkunde eine rasche Bewegung mit dem rechten Arm, und ein Illusionsbild des jeweils erwähnten Geistes tauchte auf. Am Ende hing ein wildes Durcheinander an durchscheinenden Gestalten vor Hanissa in der Luft und glotzte sie an.
Hinter sich hörte sie, wie Fleck einen Schluckauf bekam. Oh, oh, bitte nicht verwandeln! Bitte nicht jetzt , dachte sie und
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