Drachengasse 13, Band 04
nickte.
„Dann war seit unserem Aufbruch also doch jemand hier.“
„Und ist es vielleicht noch immer.“ Tomrin deutete in Richtung des geheimen Hebels unter den Holzbohlen. „Jemand, der weiß, wie der Mechanismus funktioniert.“
Da kamen nur wenige infrage: Hanissa und die Spiegler.
Sando ging neben der Luke in die Hocke und spähte ins unterirdische Dunkel. Tomrin nahm sich einen Kerzenstummel vom Tisch und zündete ihn an. Dann nickte er Sando zu.
Auf geht’s , dachte Sando und ging voraus, den Dolch hoch erhoben.
Was er am Fuß der schmalen Stiege erblickte, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. „Hierher“, flüsterte er und bedeutete Tomrin, den Boden zu beleuchten.
Im Schein der Kerze waren im Dreck Schleifspuren erkennbar.
„Der Spiegel?“, hauchte Tomrin nahezu tonlos.
Sando zuckte mit den Schultern, umfasste den Dolch noch fester und ging zur Tür der Kammer, in der dieses irrsinnige Abenteuer begonnen hatte. Sie war unverschlossen, und der Raum dahinter erwies sich als leer. Als ganz leer!
Der Spiegel war fort! Auch in keinem der anderen Räume konnten sie ihn entdecken.
„Tja“, sagte Sando, als sie wieder die Stiege zum Erdgeschoss erklommen. „Unsere zweiten Ichs sind uns offenbar zuvorgekommen und haben das verfluchte Ding eingesackt.“
„Aber warum? Wo sind sie damit hin? Und welche Rolle spielt mein Vater in dieser ganzen Sache?“
Sando legte seinem Freund beruhigend die Hand auf die Schulter. „Ich glaube, ich weiß, wer uns da weiterhelfen kann.“
Wenige Augenblicke später kletterten sie ins Freie und liefen auf die Mauer des Nachbarhauses zu. Das Tageslicht hatte sie wieder.
„Herr Glukk?“, rief Sando. „Entschuldigt die Störung, aber wir müssen Euch dringend … “ Unvermittelt verstummte er: Die Stelle an der Mauer, wo sonst der grummelige Wasserspeier gehangen hatte, war leer. Es schien, als habe jemand ihn gewaltsam aus dem Mauerwerk gerissen.
„Was im Namen der Zweigötter ist hier geschehen?“, entfuhr es Tomrin. „Wo ist Glukk?“
Fieberhaft durchsuchten sie den Hof, sahen hinter Berge aus Unrat und unter allerhand Schrott, doch sie fanden ihn nicht. Auch auf ihre Rufe reagierte niemand – nicht Glukk und auch nicht der Kobold Grott.
„Sind etwa beide fort?“, wunderte sich Sando. „Wasserspeier und Kobold?“
Tomrin legte abermals den Kopf in den Nacken und musterte die Mauerstelle. „Bestimmt nicht freiwillig, so viel ist klar. Und die beiden werden den Spiegel kaum mitgenommen haben.“
Sando fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Er sah ziemlich ratlos aus. „Ich sag das nicht gern, aber ich glaube, wir brauchen Hilfe.“
„Mein Vater ist nicht da“, murmelte Tomrin.
„Und Onkel Gump wird uns hier wenig nützen“, ahnte Sando.
Plötzlich schauten sie einander an, und Sando wusste, dass sie dasselbe dachten.
„Osrum!“, riefen die Jungen wie aus einem Mund.
Kapitel 5
Auf Spurensuche
In der Bibliothek der Magischen Universität herrschte herrliche Ruhe. Es war Mittagszeit, und die Magister saßen allesamt im kleinen Speisesaal, wo sie sich Corindas Knödelsuppe mit Speck schmecken ließen. Hanissa knurrte zwar auch der Magen, aber sie beachtete ihn gar nicht. Der einzige Hunger, der jetzt zählte, war der nach Wissen.
Sie streifte an den Regalen voller Bücher entlang, ließ den Blick über die Titel gleiten und wünschte sich, sie könnte länger bleiben und nach Herzenslust lesen. Doch als Mädchen hatte sie hier nichts verloren, zumindest aus Sicht der Zauberer. Entsprechend vorsichtig musste sie sein. Wenn einer der Graubärte sie hier erwischte, setzte er sie sicher vor die Tür – und Fleck, der ihr hinterhertapste, gleich mit.
Kräuterkunde, Geisterkunde, Liebestränke mit Zitronengeschmack, Liebestränke ohne Zitronengeschmack – Regal für Regal schritt sie ab. Es war lange her, dass sie dieEcke der Bibliothek aufgesucht hatte, in die sie nunwollte. Aber sie erinnerte sich noch genau an den Weg. Gleich hinter den Büchern über die Geschichte der Zauberei mussten die Unsichtbarkeitswälzer stehen, dicke und staubige Folianten voller geheimer Sprüche, mittels derer man alles und jeden scheinbar verschwinden lassen konnte.
„Du wirst staunen“, raunte sie Fleck zu. „Solche Bücher hast du noch nie gesehen – garantiert.“
Der Drache japste nur und schien sich weitaus mehr für die Staubteilchen zu interessieren, die im Sonnenlicht umhertanzten.
Wenige Schritte später hatten sie ihr Ziel
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