Drachenglut
runzelte die Stirn, schnüffelte und roch schwach den Geruch von Rauch. Brandgeruch.
»Verdammt, Mike«, flüsterte er, »wo zum Teufel bist du gewesen?«
Die liegende Gestalt streckte suchend den Arm aus und berührte die Vorderseite von Stephens T-Shirt.
»Stephen«, flüsterte er. »Ich schwör dir, ich hab heute nichts weiter gemacht als auf dem Wirrim g e pennt. Wenn du willst, zeig ich dir den Platz. Aber dann ist etwas Merkw… Du bist der Erste, dem ich es erzählen würde, aber ich krieg es noch nicht hin …« Seine Stimme erstarb.
Stephen beugte sich dichter über Michael und e r griff dessen Hand, als sie schlaff wurde.
»Du kannst es mir sagen, Mike. Mach schnell, sie sind gerade rausgegangen. Was war es?«
Einen Augenblick lang jagte ihm das Schweigen Angst ein. Dann hörte er wieder die Stimme seines Bruders, lauter als zuvor.
»Ich hab gerade nachgedacht. Aber ich sollte mir das gut überlegen. Ich muss es irgendwem sagen. Am besten dir, Ste p hen. Es gibt sonst niemanden, mit dem ich das ausprobieren würde. Es ist aber schon ein paar Stu n den her und vielleicht ist es jetzt weg.«
»Tut mir leid, ich kapier gar nichts.«
»Das brauchst du auch nicht, noch nicht. Hör mal, krieg das nicht in den falschen Hals, geh nur ein bisschen von mir weg. Ich will dich nicht zu nahe bei mir haben, wenn ich die Augen aufmache.«
»Ich hab gedacht, die Lampe wäre zu hell gew e sen –«
»Ich kann die Augen ganz leicht aufmachen, St e ve. Ich wollte sie schon auf dem ganzen Heimweg ric h tig aufmachen. Sie hätten auch so gern was ges e hen. Du hast ja keine Ahnung, wie sie jucken. Aber ich hatte zu viel Angst. Ich hab sie immer nur so weit aufgemacht, dass ich den Weg finden konnte. Und – Gott sei Dank – bis jetzt ist alles okay.«
»Was ist denn dann das Problem?«
»Keiner ist tot oder so, das ist das Allerwichtigste. Es hat nur mit mir zu tun. Gleich werde ich es wi s sen. Also gut, ich mach’s. Schau mich an. Mehr will ich nicht.«
Stephen blieb, wo er war, er kniete auf dem Te p pich etwa einen halben Meter von seinem Bruder entfernt. Michael schien zwar nicht im Delirium zu fantasieren, aber was er sagte, ergab keinen Sinn, obwohl es ihm selbst offenbar ganz logisch erschien. Stephen hatte das ungute Gefühl, dass er hier dem Wahnsinn ins Auge sah, und zwar volle Kanne.
Michael zitterte am ganzen Körper. Seine Hand verkrallte sich in dem Sofakissen und war ganz weiß. Seine Lider zuckten zweimal und die gerötete Haut um die Augen schien zu zittern. Stephen begriff, dass Michael seinen ganzen Mut zusammenraffen musste, um die Augen zu öffnen, und dass ihn einen Moment lang der Mut verlassen hatte.
Instinktiv ergriff er Michaels Hand und drückte sie. »Geht schon klar, Mikey. Du weißt doch, ich bin’s.«
Dann schlug Michael die Augen auf, und obwohl Stephen nicht wusste, was er erwartet hatte, verstei f te er sich vor lauter Anspannung, als er in die Augen seines Bruders blickte, braune Iris, vergrößerte Pupi l len, etwas blutunterlaufener als sonst, aber eigentlich ganz normale Augen.
Er war erleichtert, atmete aus und grinste doof, und Michael, dessen Blick mit eiserner Konzentrat i on auf Stephen geruht hatte, lächelte ebenfalls.
»Alles in Ordnung«, sagte er langsam. »Gott sei Dank.«
Dann blinzelte er, und Stephen kam es so vor, als hätte sich in den Augen seines Bruders tief unter der Oberfläche doch etwas verändert, als wäre ein Vo r hang zur Seite gezogen worden und enthüllte nun zwei gläserne Murmeln, mit dünnen, roten, rasch r o tierenden Kringeln in der Mitte.
Das alles sah er aber nur eine Sekunde lang.
Dann schrie Michael auf.
Zweiter Tag
8
Das Telefonklingeln drang in seine Träume, aber erst nach vielen Wiederholungen bohrte es sich tief g e nug, um ihn zu erreichen. Er hielt die vom Schlaf verquollenen Augen noch fest geschlossen, wä h rend seine zitternde Hand den Hörer ans Ohr drüc k te.
»Sarah?«, fragte er. »Was ist los? Hat er wieder etwas angestellt?«
»Entschuldige, Tom … « Eine andere Stimme war dran, ruhig, aber drängend. »Ich bin’s, Elizabeth.«
Elizabeth Price? Wie viel Uhr war es?
»Es tut mir leid, wenn ich dich aufgeweckt habe. Aber es ist wichtig.«
»Wie spät ist es?«
»Halb sechs. Tom, du musst sofort zur Kirche kommen. Die Polizei ist hier.«
»Polizei?« Tom brachte sich mühsam in eine si t zende Position. Die Morgendämmerung zeigte sich schon als unirdisch glühende Blässe an den
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