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Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Hochgefühl, das ihn schwindeln ließ.
    Stephen breitete die Arme aus, spreizte die Finger, dann drehte er sich um sich selbst und saugte die Welt mit wilden, gierigen Blicken auf. Bei der dritten Umdrehung verlor er das Gleichgewicht, ruderte wild mit den Armen und stürzte dann schwer zw i schen das Heidekraut, immer noch lachend, obwohl der Sturz ihm den Atem nahm.
    »Oh, Michael.« Er setzte sich langsam auf und schnappte nach Luft. »Wie kannst du bloß so – so ernst bleiben? Schenk mir ein Lächeln! Hast du in den Spiegel geschaut? Hast du gewusst, dass du eine Katze bist? Du sträubst das Fell, es wirbelt blau und explodiert wie ein Feuerwerk. Du bist nicht glüc k lich, überhaupt nicht, aber so echt. Das ist genau die Summe von dir!«
    Er lachte wieder und legte sich rücklings in das Heidekraut und blickte hinauf in den zweifarbigen Himmel, wo die Fläche des Raums mit Rot unterlegt schien und die Wolken graue Tupfer hatten.
    Michael sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. »Nach einer Weile kannst du es kontrollieren. Aber zuerst wird dir schlecht.«
    Katzenseele? Stimmte das?
    Er spürte seine Einzigartigkeit, seine wachsame Vorsicht. Vielleicht war es wahr.
    Fast fünf Minuten lang lag Stephen auf dem Rü c ken und murmelte leise vor sich hin, er zitterte und zuckte am ganzen Körper, ein schwaches, unte r drücktes Beben aus lauter Freude.
    Michael beobachtete ihn und wechselte, ohne es zu wollen, den BLICK. Stephens Konturen ve r schwammen, der Pferdekopf erschien und schaute aus dem Heidekraut zu ihm hoch, während die sich bewegende Oberfläche heftig flackerte. Wie Ausbr ü che unter Glas stiegen die Farben von innen nach außen, breiteten sich hastig auf der Oberfläche aus und wurden dann wieder rasch nach innen gesogen. Die Intensität der Bewegung war deutlicher als z u vor, die Farben leuchteten heller in noch mehr A b stufungen, doch über ihnen lag ein gespenstischer Schimmer, der vorhin noch nicht da gewesen war.
    Das ist zu viel für ihn, dachte Michael. Gleich wird er sich übergeben.
    Mit diesem Trost stand er auf und ließ den Bruder zurück, er stieg den Abhang hinauf und sah über das Tal hinweg.
    Es war mittlerweile Spätnachmittag, und das So n nenlicht, das den ganzen Tag lang die Landschaft übe r schüttet hatte, zeigte erste Anzeichen von Rüc k zug. Das Blassblau des Himmels war ausgebleicht, und die am weitesten entfernten Hügel und Felder wirkten wie unter einem Schleier fast farblos. Die Luft stand still.
    Michael veränderte wieder den BLICK und sah die Farben dunkler werden. Der Himmel wechselte zu einer rötlichen Färbung und die Felder zu Ros t braun, die Gehölze und Waldränder waren von stumpfem Dunkelbraun. Die Menschen zwischen den fernen Feldern waren plötzlich ganz deutlich zu s e hen. Davor hatte er sie kaum bemerkt, sie wirkten wie Ameisen in der riesigen Landschaft. Jetzt zeigten sie ihm die Helligkeit ihrer Seelen: Sie funkelten wie winzige, bewegliche Edelsteine.
    Wie hübsch sie aussahen. Aber wodurch glänzten sie so? Und wenn sie trotz dieser Entfernung noch derart glitzerten, wie sahen sie dann aus der Nähe aus? Michael wünschte, er wäre jetzt auf dem bele b ten Dorfanger, um es mit eigenen Augen zu sehen.
    Ein plötzliches Geräusch hinter ihm brachte ihm Stephen wieder in Erinnerung. Er wartete noch kurz, dann ging er mit mitleidigem Gesicht zurück.
     
    Auch nach der Kotzerei lag auf Stephens Gesicht immer noch der Ausdruck von Entzücken, obwohl sich auch Müdigkeit darin eingegraben hatte.
    Er sah nichts mehr außer einem grellen Licht, das ihn schmerzte, aber anstatt die Augen zu schließen, verdrehte er sie so, dass nur noch das Weiße zu s e hen war. Das machte ihn sehr hässlich, und Michael wies ihn darauf hin, doch Stephen erwiderte nur: »Ich kann nicht anders. Ich kann sie nicht zumachen. Der Drang zu sehen ist zu stark, aber dann tut es sehr weh. Wenn ich die Augen verdrehe, ist es am erträ g lichsten.«
    Michael half ihm beim Aufstehen, legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn aus dem Pit. Sein Bruder zitterte immer noch wie ein schreckha f tes Karnickel, aber er trat sicher auf, als wüsste er instinktiv, wo er seinen Fuß hinsetzen konnte. Nach den letzten Worten schwieg Stephen während des Abstiegs und Michael unterbrach das Schweigen nicht. Eine Mischung aus Furcht und Neid erfüllte ihn.
    Als die Blase aufgestiegen war, waren ihr G e schmack und das Gefühl vertraut gewesen, aber er wusste dabei mit einer Sicherheit,

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