Drachenglut
bald klitschnass, und dann bildete sich eine Lache auf dem Fußboden und wurde immer größer.
Michael wehrte sich mannhaft, aber Stephen hatte den Vorteil des Älteren.
»Wie geht’s so?«, erkundigte er sich nach drei Minuten freundlich.
»Das wirst du bereuen, du verdammter Idiot«, war die einzige Antwort.
Das Wasser strömte noch minutenlang, bis die Klamotten sich so voll gesaugt hatten, dass Michaels Hose runterrutschte.
»Immer noch nichts?« Stephen hörte sich beda u ernd und überrascht an.
Die Antwort kam heftig und war negativ.
Stephen musste also zu härteren Maßnahmen gre i fen … die er allerdings durch die sofort einsetzende Reaktion gerechtfertigt fand.
»Okay, du Mistkerl«, sagte Michael. »Hör auf. Ich rede mit dir, aber es wird dir nicht weiterhelfen.«
Stephen gestattete seinem Opfer, in sein Zimmer zu gehen, sich abzutrocknen und auf dem Bett ausz u strecken. Er selbst blieb bei der Tür stehen und leh n te sich lässig an die Wand, um weiterhin die Überl e genheit über seinen Bruder zu wahren, die er auf so unangenehme Weise errungen hatte.
»Na?«, sagte er schließlich. »Was ist passiert?«
Michael leierte mürrisch herunter, an was von dem Traum er sich noch erinnern konnte: das G e fühl der Tiefe, das wachsame unterirdische Auge, die Schönheit der Seelen, die ihre Besitzer nie b e greifen wü r den. Aber über die Stimme und was sie ihm gesagt hatte, verlor er absichtlich kein Wort.
»Und warum warst du am Fenster?«
»Weiß ich nicht mehr.« Die Lüge kam glatt he r aus und Michael wechselte geschickt das Thema. »Du musst das doch verstehen«, nun hörte er sich ein klein wenig lebhafter an, »egal wie blöd du bist, du musst doch begreifen, was für eine Tragöde das ist. Wie sollen wir diese Trottel achten können? Sie k a pieren gar nicht, was sie da haben, was sie verlieren, wenn sie sterben. Aber wir erkennen den Wert – w e nigstens tu ich das.«
»Und was ist dieser Wert?«
»Die Schönheit der Seelen natürlich, das musst du doch begreifen! Die Schönheit dieser funkelnden Bilder. Wie Juwelen!«
»Für mich sehen sie nicht sehr nach Juwelen aus. Dafür bewegen sie sich zu heftig.«
»Die Bewegung ist nicht so wichtig. Die kommt von den Gedanken und Gefühlen – und sie hängt mit den Charaktereigenschaften der Menschen zusa m men, denen diese Seelen gehören. Doch wen intere s siert das schon?«
»Halt mal – was meinst du mit ›gehören‹? Die Seelen sind die Menschen, oder etwa nicht?«
»Vielleicht, aber das ist etwas Unbegreifliches, und die Seelen sind sowieso viel schöner als die Me n schen. Wir haben uns zu viele Gedanken darüber g e macht, was die Form und die Farben eigentlich bede u ten sollen, dabei ist das gar nicht wichtig. Das bringt uns nicht weiter. Es geht nur um die Schönheit.« M i chael sprach langsam, bedacht, als erinnerte er sich an etwas, das er vor l anger Zeit g e lernt hatte. »Es geht darum, dass wir mit dem BLICK die Seelen auch b e sitzen können. Wir kö n nen sie mit unserem Willen lenken. Wir können auch ihre Farbe ändern …« Nun klang Seh n sucht in seinen Worten mit. »Ich wünschte, ich könnte i m mer den BLICK haben. Dann würden meine Augen nicht mehr wehtun.« Michael schaltete plöt z lich routiniert den BLICK ein. Er sah Stephen eine M i nute lang an. »Sogar deine ist kostbar. Sogar de i ne. Wie etwas aus Perlmutt.«
Stephen verspürte einen stechenden Schmerz hi n ter der Stirn, und ihm wurde etwas schwindlig. Ihn schauderte, aber er versuchte das mit aller Kraft zu verbergen. »Lass das! Ich mag es nicht, wenn du mich so anschaust.«
Michael schnaubte fröhlich. »Ich weiß. Das erke n ne ich doch sofort. Deine Seele zittert wie Espenlaub. Die von unserer doofen Schwester hat genauso gezi t tert. Aber auch wenn sie Angst haben, sind sie kom i sche r weise immer noch hübsch. Vielleicht sogar noch hü b scher.«
Stephen knirschte mit den Zähnen und zwang sich, direkt in die seltsam wirbelnden Pupillen seines Br u ders zu sehen. Er fühlte den starken Drang, selber den BLICK einzusetzen, aber er widerstand.
»Das ist jetzt nebensächlich. Was für ein Ekelp a ket bist du, dass du Sarah so fertig machst?«
Ein Hauch von Betroffenheit huschte über Mich a els Gesicht. Dann lachte er, und seine Augen schalt e ten wieder um. Der Schmerz hinter Stephens Stirn ve r schwand.
»Na gut«, gab Michael zu. »Das war nicht okay. Ich wollte nur mal sehen, wie es sich anfühlt. Ich mach’s nicht
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