Drachenglut
absurder war die Erwartung, man würde ihm Glauben schenken.
Stephen war kurz vorm Verzweifeln.
Zweimal hielt er mit seinem Rad an, zweimal stieg er tief in Gedanken versunken ab und zweimal rade l te er langsam weiter. Sein Entschluss war zwar ve r rückt, aber momentan sah er darin seine einzige Hoffnung.
Als er in den Kirchhof von St. Wyndham einbog, flackerte hinter seinen Augen kurz der Schmerz auf und verebbte wieder. Damit verschwand auch die mühsam unterdrückte Panik wegen der Absurdität des Ganzen, die ihn seit dem Losfahren gequält hatte. Hinter ihm verstummte das Treiben des Dorfes, und die alten herumliegenden Grabsteine und die kru m men Eiben neben der Mauer standen für ältere Wertmaßstäbe, die schon länger galten und nicht so schnell richteten und verdammten.
Als er die Kirche betrat und die Feierlichkeit des kühlen grauen Gemäuers beruhigend auf ihn wirkte, wuchs seine Sicherheit noch. Das Reden fiel ihm leichter, als er gedacht hatte.
»Tom, ich muss dir etwas Wichtiges erzählen, obwohl du mich wahrscheinlich für verrückt halten wirst.«
Vielleicht hätte Tom ihm einen Grund dafür ne n nen können, weshalb sich Stephen seit dem Betr e ten der Kirche sicherer fühlte. Aber daran dachte er nicht, denn er war zu sehr mit den Schlussfolg e rungen beschäftigt, die sich aus den Fakten erg a ben.
Stephen erzählte ihm fast alles.
Zuerst berichtete er von dem Pit und was dort M i chael und ihm selbst widerfahren war. Tom sog scharf den Atem ein, aber er schwieg.
Stephen erzählte vom BLICK und was er bewir k te.
Tom runzelte die Stirn und hätte ihn fast unterbr o chen, aber er hielt sich zurück und starrte konze n triert auf die Buntglasfenster über der Kanzel.
Stephen erzählte von Mr Cleever und wie es um dessen Seele bestellt war.
Tom entfuhr ein unterdrückter Fluch, er blickte kurz zum Kreuz hinüber, das still in seiner Ecke lag.
Stephen erzählte von dem Angriff auf Michaels Zimmer in der vergangenen Nacht. Als er den N a men der Gestalt am Fenster nannte, stand Tom auf und lief aufgeregt im Mittelschiff auf und ab und rieb sich den Kopf.
Zuletzt berichtete Stephen von Michaels Verhalten heute Morgen.
»Als Michael bei Mr Cleever war und den ersten Blick unter die Oberfläche erhascht hatte, hat Cle e ver etwas zu ihm gesagt. ›Du wirst werden, was du siehst.‹ Und etwas ist mit ihm passiert, irgendetwas, genau in Cleevers Sinn. Deshalb hab ich dir das alles erzählt; ich weiß nämlich nicht, was ich tun soll. Hoffentlich denkst du nicht, dass ich verrückt g e worden bin.«
Als er fertig war, war er fast hoffnungsvoll, denn Toms Schweigen während seiner Erzählung hatte ihn verwundert.
Tom wandte sich ihm zu. »Ich glaube nicht, dass du verrückt bist, obwohl es nicht leicht fällt, diese Geschichte über … die Seelen zu akzeptieren. Aber andere Dinge … andere Dinge kann ich leichter gla u ben, als du dir vorstellen kannst.«
Stephen sah ihn mit unbewegter Miene an. »Eh r lich gesagt, fände ich es fast besser, wenn du mich auslachen würdest. Ich an deiner Stelle täte das.«
»Wenn es nur um den BLICK und den … Angriff ginge, könnte man deine Geschichte unmöglich glauben. Aber ich war bei euch, als Michael zurüc k kam. Ich habe gesehen, in welcher Verfassung er war, und ich war dabei, als er dem Arzt erzählt hat, er wäre total durcheinander. Aber was noch wicht i ger ist – ich habe in den letzten Tagen auch ein paar … Probleme gehabt.«
»Welche denn?«
Tom erzählte es ihm. Das schien ihm unter diesen Umständen das einzig Sinnvolle.
»Man kann leicht begreifen«, schloss er, »warum Menschen mit dem BLICK die leuchtenden Köpfe für Geister und Teufel gehalten haben, und man kann sich sehr leicht vorstellen, dass sie dafür von anderen Leuten für Hexen gehalten wurden.«
Stephen lief rot an. »Ach so, du hältst mich für e i nen Hexer.«
»Nein, aber ich glaube, dieser BLICK kommt aus einer sehr zweifelhaften Quelle. Und du solltest auch nicht denken, dass das, was du siehst, Seelen sind.«
»Aber was sollte das sonst sein? Jetzt komm mir bloß nicht mit irgendwelchen religiösen Haarspalt e reien!«
»Tu ich doch gar nicht!«
»Tust du verdammt doch!«
»Okay, okay.« Tom beherrschte sich nur mühsam. »Wir verlieren kostbare Zeit. Cleever ist für Michael gefährlich, und bis wir d as alles besser verstehen, sollten wir ihn auf ke i nen Fall allein lassen. Oh Gott! Sarah!« Er brach en t setzt ab.
»Was? Was ist mit
Weitere Kostenlose Bücher