Drachenglut
heiß!«, rief Pilate aus. »Ich fühl es durch meine Schuhsohlen.«
»Vanessa, bring die Steine her. Verteile sie.«
»Ist es wichtig, wer was bekommt?«
»Alles passt. Gib mir eine Brosche. Michael, steck das an Mr Hardrakers Anorak. Nimm dieses Messer. Du wirst es nicht brauchen, aber die Schneide stammt aus dem Boden des Wirrin low.«
»Wo sollen wir stehen?«
»Geht es jetzt los?«
»Wo ist die Frau? Geoffrey, hol sie her. Sie kann bei Michael und Joseph stehen. Paul, hast du deinen Stein? Gut. Du stehst mir gegenüber. Ich stelle mich hierher, zwanzig Schritte von der Mitte entfernt. Zum Abmessen nehme ich die Schnur. Michael, halt das fest und bleib da stehen.«
Michael stand neben dem Stuhl und hielt die Schnur an einem Ende fest, während die anderen von Mr Cleever in immer demselben Abstand von der Mitte aufgestellt wurden. Sarah musste sich auch in die Mitte stellen. Ihre Augen funkelten trotzig, als Pilate ihr b e deutete, sie sollte sich zu Michaels F ü ßen hinsetzen.
»Pass auf sie auf«, sagte Pilate und drehte ihm den Rücken zu.
Michael sah sie an, spürte ihre Bereitschaft wegz u rennen, zu fliehen, und zuckte mit den Schultern. Wenn er erst einmal im Besitz der vollen Kraft war, konnte er sich Sarah gegenüber gnädig zeigen. Doch bis dahin musste sie warten. Irgendwo tief in ihm schrie ein halb formulierter Zweifel auf, aber dann erinnerte e r sich wieder an die zahllosen Gemeinhe i ten, die Sarah ihm angetan hatte, und er stieß den Zweifel beiseite. Er wandte seine Aufmerksamkeit den and e ren zu.
Sie sahen erschöpft aus, verschwitzt und schmu t zig von dem langen Aufstieg, die eine blass und ve r letzt, die anderen mit besorgten, hochroten Köpfen.
Die Sonne näherte sich rasch dem Westen und a l le. Schatten fielen lang übers Gras.
Michael sah zu den Felsen im Osten hinüber, aber er entdeckte niemanden, sein rascher Verstand e r fasste keine Spur von seinem aufsässigen Bruder.
Eine dünne, unbekannte Stimme neben ihm sagte: »Wenn er sich einmischt, stirbt er.«
Michael drehte sich erschrocken um.
Der schlaffe Körper saß regungslos da, die weißen Haare auf dem Schädel bewegten sich keinen Mill i meter.
Hatte er gesprochen?
Michael wusste es nicht. Er schaute zu den and e ren hin, aber Mr Cleever war immer noch mit dem Abmessen beschäftigt. Paul Comfrey und Vanessa Sawcroft standen schon bereit, und nun nahm Pilate seine Position im Norden ein. Michael hatte plötzlich den Drang wegzulaufen, aber als er einen Schritt machte, bemerkte Mr Cleever sofort das Erschlaffen der Schnur. Mit aufeinander gepressten Kiefern und feuchten Händen nahm Michael wieder seinen Platz neben Joseph Hardraker ein.
Schließlich hatte Mr Cleever auch seinen eigenen Platz im Westen des Wirrinlow gefunden. Er ma r k ierte ihn mit einem Stock und kam freundlich gri n send auf Michael zu, während er die Schnur aufrol l te.
»Ich hoffe, du bist bereit«, sagte er. »Wenn du die Kraft um dich herum fühlst, dann lenke sie in die E r de. Wir unterstützen d ich darin, bis es dir gelingt, und so heiß wie der Boden jetzt schon ist, wird das nicht mehr lange da u ern. Viel Glück.« Er wandte sich um. »Euch allen viel Glück!«
Derselbe Wunsch hallte von allen Seiten wider.
Von Sarah kam ein Flüstern. »Michael. Tu’s nicht. Sie sind verrückt. Du hast dich verändert.«
Gleichzeitig kam ein Angriff von Stephen – eine Szene aus ihrer Kinderzeit, die Familie, seine Mu t ter …
»Sei still«, sagte Michael. »Seid alle beide still.«
»Michael«, sagte die dünne, fremde Stimme in seinem Ohr, »nimm meine Hand.«
Mach das nicht!, sagte Stephen leise von ganz weit her, und Sarah grub ihre Fingernägel in die Erde, während sie flehentlich bat: »Der Drache ist böse, siehst du das nicht? Sieh dir doch diese Kreaturen an! Willst du so werden? Willst du so werden wie sie?«
»Ich bin schon einer von ihnen, verdammt noch mal!«, fauchte Michael. »Es ist zu spät!«
Und die dünne Stimme sagte wieder: »Nimm me i ne Hand und fühle unsere Kraft.«
»Wenn ihr bereit seid«, rief Mr Cleever, »fangen wir an.«
Michael …
» Michael … «
»Meine Hand, Michael.«
»Oh Gott … «
Dann ergriff Michael die Hand und die rufenden Stimmen erstarben.
46
Es begann mit einem Aufflackern.
Während Stephen oben auf dem Hügelkamm zw i schen Felsblöcken und Ginster hindurchkroch, me l dete es sich wie ein sanftes Stupsen an seiner Sch ä delbasis. Doch schon im nächsten
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