Drachengold: Roman (German Edition)
waren. Bei was auch immer …
Die Nacht war fast vorüber, und am Himmel hinter den Bergen vor ihnen graute bereits der Morgen, als sie zurück zur Stadt flogen. In seinen Klauen trug Temeraire einige der von ihnen zubereiteten Lamas, die sie übrig gelassen hatten, weil er sie Gong Su vorführen wollte. »Was ist denn da vorne los?«, fragte Iskierka plötzlich, als sie näher kamen: Viele Drachen versammelten sich gerade hinter der Mauer der großen Stadtfestung, und Soldaten in ihren gewebten Rüstungen mit Schwertern und Musketen formierten sich in Reihen.
»Warte mal: Hier entlang! Sie dürfen nicht wissen, dass wir sie gesehen haben«, sagte Temeraire und zupfte Iskierka am Flügel. Dann schossen sie davon und versteckten sich hinter einem Überhang des Berges. Temeraire legte die Lamas am Boden ab. »Warte hier … Oh, bitte hör auf, dich aufzuregen; wenn du Dampf oder sogar Feuer ausstößt, wird man dich sofort entdeckten.«
»Das ist mir vollkommen egal«, fauchte Iskierka. »Was haben die denn vor? Natürlich sehe ich, dass sie einen Überraschungsangriff vorbereiten«, fügte sie ungeduldig hinzu, »aber auf uns oder auf die Franzosen?« Sie reckte den Hals, um einen besseren Blick auf die Truppen zu haben, die sich unter ihnen sammelten.
Temeraire stieg in die Luft und achtete darauf, so zu fliegen, dass er nicht gegen den heller werdenden Teil des Himmels zu sehen war, und verschaffte sich einen Eindruck: Die britische Enklave lag, von der Position der Inka-Soldaten aus gesehen, im Osten, die der Franzosen im Westen. Beide befanden sich in Angriffsreichweite. Die Soldaten der Inka trugen Schilde, die prächtig mit Silber beschichtet waren, und einer davon fing das Licht der aufgehenden Sonne ein und blitzte von unten schmerzhaft auf, gerade als Temeraire hinabschaute.
»Sie haben es auf uns abgesehen«, sagte Temeraire zu Iskierka, als er wieder gelandet war und sich die Lamas gegriffen hatte. Wer wusste schon, ob sie die Nahrung nicht noch brauchen würden, dachte er. »Sie werden uns angreifen; wir müssen sofort aufbrechen.«
III
14
Der Wasserfall war nicht sehr breit, aber er kam aus großer Höhe, und er stürzte tosend an der langen, zerklüfteten Hangwand hinab und überdeckte das angestrengte Keuchen der Drachen, die ein wenig schliefen – das Dach der riesigen Bäume im Regenwald gab ihnen Schutz. Kulingiles goldfarbene Schuppen waren mit Schlamm bestrichen worden, und Temeraire und Iskierka sahen nicht viel besser aus: Zweige waren ihnen überall am Rücken entlang unter den Geschirrriemen hindurchgeschoben worden, und von oben hatte man sie sorgfältig mit Kletterpflanzen behängt, um sie noch besser vor ihren unnachgiebigen Verfolgern zu tarnen.
Einige kleine, pfeilschnelle Drachen hatten sie in kaum mehr als einem Tag, einer Nacht und noch einem Tag fast dreihundert Meilen weit gejagt und vor sich her getrieben. In gerader Linie gemessen, hatten sie natürlich keine annähernd so große Strecke zurückgelegt, denn ihre Flucht verlief im Zickzack und in Spiralen. Sobald sie eine Pause einlegten oder versuchten, es von sich aus auf einen Nahkampf anzulegen, drehten die kleinen Tiere ab und überbrachten die Nachricht von ihrer genauen Position den größeren Drachen, die sich hatten zurückfallen lassen, abwarteten und ihre Kräfte schonten, um dann gezielt Jagd auf die Engländer zu machen.
Bislang waren sie bereits mehrere Male nur um Haaresbreite einem Kampf mit den verschiedenen Luftbataillonen der Inka entronnen: Diese bestanden aus sechs Drachen in der Größe von Schwergewichten und dreizehn Mittelgewichten, die sehr geschickt versuchten, sie einzukreisen und zur Aufgabe zu zwingen. Beim ersten Mal hatte ihnen einzig Kulingiles enorme Größe zur Flucht verholfen. Er hatte seinen Kopf gesenkt und war durch den Ring der Drachen gestoßen, von denen keiner weniger als zwanzig Tonnen wog. Temeraire und Iskierka waren hinter ihm her hinausgeschossen, hatten sich dann, da sie wendiger als er waren, umgedreht und mit Klauen und Schwanzschlagen den Feind so lange in Schach gehalten, bis Kulingile in der Wolkendecke Schutz gefunden hatte, wohin sie ihm rasch darauf folgten.
Die Drachen der Inka trieben die Verfolgung umsichtig voran, ohne sich einem großen Risiko auszusetzen. Sie hatten alle Vorteile auf ihrer Seite: Sie konnten sich ihre Kräfte so einteilen, dass sie lange reichen würden, und sie kannten die Gegend. Temeraire, Iskierka und Kulingile hingegen wurden mit jeder
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