DrachenHatz
besagter Harry, der mit Nachnamen und als freier Journalist auf den Namen Gierke hört und ein lieber alter Freund ist. Ich hatte ihn bei meinem ersten Fall kennengelernt, und auch an meinem zweiten war er nicht völlig unbeteiligt gewesen. Harry ist ein sandfarbener Terrier, ein wenig jünger als ich und manchmal nicht ganz leicht im Umgang. Siehe oben. Außerdem trägt er einen Brilli im Ohr. Na ja, das ist natürlich seine Sache. Denn in dieser Hinsicht und auch sonst leben wir jeder unser eigenes Leben. Privat, meine ich.
Dies ist bei Marga Schölljahn nicht der Fall. Wir Frauen tauschen uns über alles und jedes aus, wobei ich schon Wert darauf lege, dass sie sich nicht allzu sehr in mein Liebesleben einmischt. Sie selbst hat nämlich keins, soweit ich weiß, und ist vielleicht deshalb an allem Diesbezüglichen höllisch interessiert, wenn es mich betrifft.
»Habt ihr eigentlich gewusst, dass Männer aus mehr Wasser bestehen als Frauen?«, warf Johannes in diesem Moment kauend in die Runde und langte nach einem weiteren Matulke’schen Bäckerbrötchen, um ein Gebirge von Rührei auf ihm zu errichten, das er anschließend mit frischen Schnittlauchschnipseln krönte, die ich heute Morgen eigenhändig in meinem Hausgarten geerntet hatte. Er gehörte zu den dauer-dürren Typen, die futtern können wie ein Grizzly, ohne Gefahr zu laufen, irgendwann als Tonne zu enden. Und ich war ihm dankbar, dass er versuchte, sich einigermaßen zivilisiert zu benehmen. Möglicherweise lag das an all dem, was er in seinem noch nicht allzu langen Leben bereits hatte durchmachen müssen: Er hatte einen Großteil seiner Familie verloren. Es war mein erster Fall als Privatdetektivin gewesen.
»Nein«, entgegnete Marga artig, während sie konzentriert in die Schüssel mit den eingelegten Auberginen pikste, »aber so direkt wundern tut’s mich nicht.« Ihr Blick, mit dem sie anschließend Harry und Thomas bedachte, war, na, sagen wir … beredt. Ich kicherte albern, was ganz allein meiner Nervosität geschuldet war, denn im Normalfall liegt mir ein derartiges Verhalten fern. Aber gegen diese Situation verblasste wirklich jede Gefahr, die ich bislang als Privatdetektivin gemeistert hatte. Einen Moment erwog ich sogar, etwas von meinem neuen Verehrer, einem kürzlich zugezogenen Psychiater mit einer Leidenschaft fürs Kochen, zum Besten zu geben. Axel Vondram war seit eineinhalb Monaten Mitglied in meiner »Feuer und Flamme«-Gruppe, fabrizierte traumhafte Nachspeisen und beglupschte mich des Öfteren über Zwiebelringe und Bratenstücke hinweg mit feuchten Hundeaugen. Der Mann suchte eindeutig Anschluss. Ich nicht. Doch dann entschied ich mich, Johannes’ heldenhaften Gesprächsversuch nicht zu torpedieren.
»Mmh«, nahm der den Faden zwischen zwei Happen wieder auf, »bei Herren sind es sechzig bis siebzig, bei Damen nur fünfzig bis sechzig Prozent.«
Er war schon ein Lieber, und wir alle hatten mittlerweile erkannt, dass er mit aller Macht versuchte, die Stimmung jedenfalls ein bisschen zu heben.
Denn die war schlecht. Grottenschlecht, um genau zu sein, obwohl die Sonne vom Himmel lachte, wie es in meinen Liebesromanen zuweilen heißt, und die aus südlichen Gefilden zurückgekehrten Stare derart frühlingshaft-enthemmt tirilierten, dass es sie fast vom Ast katapultierte.
»Deshalb können wir Kerle ja auch Alkohol besser ab«, beteiligte sich Harry gnädig an der Pflege des winzigen Konversationspflänzchens. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm, denn er aß nur wenig. Was hatte ihm wohl derart den Appetit verdorben? »Es ist einfach mehr Flüssigkeit zum Verdünnen da. Natürlich.«
»Natürlich«, wiederholte ich dümmlich und durchforstete verzweifelt mein Hirn nach einer weiteren diskussionswürdigen Äußerung. Nichts. In meinem Kopf sah es aus, als habe jemand die Wohnung besenrein hinterlassen. Doch gleichzeitig wusste ich todsicher, dass ich in Bälde – sollten wir hier weiter so belanglos vor uns hinplaudern – laut kreischend aufspringen und den Passader See im Dauertrab umrunden würde. Und zwar allein.
»Tja, die Welt ist ungerecht«, meldete sich Thomas in diesem kritischen Moment endlich zu Wort. Gut, das war vielleicht kein Satz, der einem ob seiner Prägnanz ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf geht, aber es war immerhin einer. Denn bislang hatte mein Herzensschatz den Vormittag über weitgehend geschwiegen. Was ich ihm allerdings nicht so richtig verdenken konnte, wenn ich ehrlich war. Und das bin
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