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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fünften, der sich als waschechter Londoner erwies, und frühstückte entgegen den Geboten des Anstands im Morgenmantel. Sie besaß derzeit nichts anderes. Ihre Kleidung wurde inzwischen gewaschen und getrocknet. Er trug Hemd, Fliege und eine bestimmt nicht billige Stoffhose, sein klassisch-würziges Aftershave wehte zu ihr herüber.
    Das Ambassade war ein nettes, kleines Hotel unmittelbar an der Herengracht, verwinkelt und verbaut bis in den letzten Korridor, doch die Zimmer protzten mit Gemütlichkeit. Als britischer Gentleman und Landsmann hatte Grant darauf bestanden, ihr die Übernachtung zu zahlen.
    Ich muss verrückt sein, nicht von hier verschwunden zu sein. Immer wieder blickte sie auf die belebte Gracht hinaus und erwartete den Kopf des Wasserdrachen vor dem Fenster zu sehen, der die Kugel rauben wollte. Gestern war ich einfach zu erschöpft. Mit etwas Glück hatte sich der Drache mit den Splittern des Weltensteins zufriedengegeben. Sie wusste nicht, was der Geschuppte mit dem Artefakt wollte. Vermag er zu zaubern?
    »Wie sehen Ihre Pläne aus, Mylady?«, erkundigte sich Grant und winkte den Kellner zu sich, um Tee nachgeschenkt zu bekommen. »Ihr Gepäck hat sich nicht finden lassen, obwohl die guten Amsterdamer, die ich anheuerte, sich Mühe gaben.«
    »Ich kehre heute noch nach England zurück«, sagte sie. Er konnte nicht wissen, dass sie kein Gepäck dabeigehabt hatte. »Meine Kleidung sollte trocken sein, und mein Ticket trug ich am Leib.« Sie langte über den Tisch und drückte seine Hand. »Ich danke Ihnen, Mister Grant, viel-, viel-, vielmals. Ohne Sie hätte ich nicht gewusst, was ich tun sollte.«
    Er winkte ab und strahlte. »Es war mir eine besondere Freude. Eine ebensolche Freude wäre es mir, wenn Sie sich bald bei mir meldeten. In einem Monat werde ich von meiner Geschäftsreise zurückgekehrt sein und würde Sie gern bei einem Tee auf meinem Anwesen sehen.« Er reichte ihr seine Karte mit Adresse und Telefonnummer. »Bitte sehr, Mylady.«
    Sie stand auf, und sofort erhob er sich. »Sie hören gewiss von mir.« Sie reichte ihm die Hand, und er gab ihr einen angedeuteten Kuss. »Ihnen einen angenehmen Tag und beste Geschäftsabschlüsse.«
    »Möge Gott Sie schützen, Mylady Snickelway.«
    Sie lächelte. »Er kann es versuchen.« Sie schritt hinaus, verließ den Frühstücksraum und ging auf ihr Zimmer, wo sie sich umzog. Ihre Kleidung roch frisch und leicht nach Seife. Der Schmutz der Reise war aus Rock, Bluse und Mantel verschwunden. Viel besser.
    Fünfzehn Minuten später stand sie in der Herengracht und wählte den gleichen Weg zum Bahnhof, den sie tags zuvor genommen hatte. Die Kugel hielt sie fest umschlossen in ihrer linken Hand in der Tasche vergraben.
    Ealwhina marschierte über die belebten Straßen, hörte die verschiedensten Sprachen um sich herum, und zu ihrer großen Erleichterung war kein Russisch dabei. Sie erkannte Geister zwischen den Passanten, die sie anstarrten, verlangend und furchtsam zugleich. Die verlorenen Seelen spürten, dass sie etwas Besonderes mit sich führte, wagten sich jedoch nicht an sie heran. Oder sie wissen, dass der kobaltblaue Wasserdrache das Artefakt will, und machen ihm den Anspruch nicht streitig
    Das Rumpeln der Loks und Waggons wurde hörbar, sie näherte sich dem Bahnhof. Sie hatte kein Ticket, doch sie sah die Chancen als sehr gut an, entweder eines zu ergaunern oder als blinder Passagier bis nach London zu gelangen. Von dort rollten weitere Züge in knappen Abständen nach York.
    Sie betrat das große Gebäude, orientierte sich und stieg kurzerhand in den ersten Zug nach London, ohne sich um einen Fahrschein zu kümmern.
    Ich finde schon eine Möglichkeit, dem Schaffner zu entkommen. Ealwhina setzte sich in die erste Klasse und blickte aus dem Fenster. Zeit zum Nachdenken.
    De Bercy hatte für den Drachen gearbeitet, dessen Namen sie nicht kannte. Aber dem Bassin nach zu urteilen, aus dem er im Keller des Hauses aufgetaucht war, und dem Verhalten der älteren Damen nach lebte er mit dem Wissen einiger Amsterdamer in den Grachten. Von den Kanälen aus gab es Zugänge in die Häuser.
    Drachenfreunde womöglich, die ihn bei seinem geheimen Leben unterstützten.
    Diese Müdigkeit und die Kopfschmerzen! Ealwhina sah die Hüte an der Fensterscheibe ihres Abteils vorbeitreiben, Männer und Frauen mit ganz unterschiedlichen Modegeschmäckern liefen vorüber. Leise drangen ihre Stimmen herein, Dienstboten hetzten mit roten Gesichtern und

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